Medienkritik in Deutschland: Die Schmuddel-Sparte

Spätestens der Fall Wulff hat gezeigt, dass deutsche Journalisten kräftig austeilen können. Gegen die eigene Zunft richtet sich ihre Kritik aber selten. Das macht eine Studie des Erich-Brost-Instituts für Internationalen Journalismus deutlich. Bei der Vorstellung am Donnerstag in Berlin warb Medienjournalist Stefan Niggemeier für offene Qualitätsdebatten im Netz. 

Von PRO

Im internationalen Vergleich üben deutsche Journalisten am seltensten Kritik an Kollegen. Unter zehn Prozent gaben an, dies „häufig” zu tun. Zum Vergleich: In der Schweiz, dem Spitzenreiter, sagten dies über 70 Prozent der Befragten. Über die Hälfte der deutschen Journalisten erklärte, selten von Kollegen oder Abteilungsleitern kritisiert zu werden. Das hat die Studie „Zimperlieschen? Wie deutsche Journalisten mit Kritik umgehen” ergeben. Dafür hat das Erich-Brost-Institut für Internationalen Journalismus an der Technischen Universität Dortmund in den Jahren 2011/2012 1.762 Journalisten in 12 europäischen und zwei arabischen Ländern online befragt. Quer durch alle Staaten bejahten Journalisten die Medienverantwortung der Presse, erklärte Susanne Fengler, Leiterin des Erich-Brost-Instituts. Der Einfluss von kritischem Medienjournalismus oder Selbstkontrollmechanismen im Web 2.0 sei aber nur mäßig einzuschätzen. Als wirksamste Instrumente sahen die Befragten das Medienrecht und die journalistische Ausbildung. Medienkritische Blogs oder Medienjournalismus schätzten sie hingegen als weniger relevant ein. Einer Medienregulierung stehen die Deutschen vor allem deshalb kritisch gegenüber, weil sie politischen Missbrauch fürchten, ergab die Studie.

Zufrieden mit dem Status quo sind Journalisten aber nicht: Quer durch alle Länder wünschen sie sich mehr Transparenz. So stimmten vor allem in der Bundesrepublik Journalisten der Aussage „Menschen vertrauen eher denjenigen Medien, die eigene Fehler berichtigen und im Zweifel auch Entschuldigungen veröffentlichen” zu. Bei der Zustimmung zur Frage, ob Medienunternehmen Nutzern mehr Möglichkeiten geben sollten, online an der Produktion eines Beitrags mitzuwirken, bildet Deutschland gemeinsam mit der Schweiz das Schlusslicht. In Jordanien, Polen oder Finnland wird dies hingegen eher akzeptiert.

Etwa neun von zehn deutschen Journalisten fühlen sich am ehesten ihrem Gewissen verpflichtet. 60 Prozent erklärten, die Öffentlichkeit sei für sie der wichtigste Bezugspunkt. Instituts-Leiterin Fengler nannte es „bedenklich”, dass die Leser und Zuschauer im Bewusstsein der Journalisten „eher eine untergeordnete Rolle” spielten.

Niggemeier: Medienkritik gilt als schmuddelig

Der Medienjournalist Stefan Niggemeier erklärte bei der Vorstellung der Studie, er sei keineswegs überrascht von den Ergebnissen. Medienkritik sei in Deutschland ein Sonderfall und gelte als etwas „Schmuddeliges”. Und das, obwohl der Grundgedanke von Medien doch sei, Kritik zu üben. „Ich hoffe sehr, dass sich das ändert”, sagte der Redakteur des Magazins Spiegel und Bildblog-Initiator. Kritik übte er am Kontrollgremium für Medien, dem Deutschen Presserat: „Der Sinn des Presserats ist das Vorhandensein des Presserats”, sagte er. Dessen Einfluss auf Zeitungen schätzte er als sehr gering ein. In Deutschland müsse über neue Formen der Medienkritik nachgedacht werden, führte er fort und plädierte unter anderem für sogenannte Redaktionsblogs, in denen Medien Einblick in ihre Arbeit geben und auf aktuelle Debatten reagieren können.

Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Deutschen Presserats, sieht hingegen kein Defizit in Deutschland. Die öffentliche Medienkritik durch den Presserat sei ein bewährtes System. Dennoch stellte auch er fest, dass besonders Journalisten eigene Fehler öffentlich machen müssten: „Selbstkontrolle ist ein absolutes Muss”. (pro)

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