„Medienfälscher Born hat mit krimineller Energie gehandelt“

Anfang der 90er Jahre hat der Journalist Michael Born TV-Beiträge massiv gefälscht. Bis er die Staatsanwaltschaft auf den Plan rief und schließlich selbst ins Visier der Ermittler geriet. Der Soziologe Stefan Piasecki hat die Gerichtsakte gelesen.
Von Jonathan Steinert
Stefan Piasecki

PRO: Michael Born hat als freier Journalist für „stern TV“ und andere TV-Magazine Anfang der 90er Jahre dutzende Beiträge gezielt gefälscht, Tonspuren manipuliert, Szenen mit Darstellern nachgestellt oder sich vermeintliche Skandale komplett ausgedacht. Wie sind Sie jetzt, rund 30 Jahre später, dazu gekommen, ein Buch darüber herauszugeben?

Stefan Piasecki: Ich beschäftige mich schon lange damit, wie Medien mit der Realität umgehen. Auf den Fall Born bin ich eher zufällig gestoßen, der war mir bis dahin nicht bekannt. Ich habe die veröffentlichten Aufzeichnungen von Thomas Pritzl, dem damaligen PR-Verantwortlichen von „stern TV“ gelesen und danach Kontakt zu ihm aufgenommen.

Das, was er mir erzählte, ging noch weit über seinen schriftlichen Bericht hinaus. Da stellte ich fest, dass dieser Fall wirklich große Dimensionen hatte. Seltsamerweise spielt er in der Literatur und Forschung kaum eine Rolle. Auch für einen Fernsehfilm wäre das ein spannender Stoff.

Michael Born musste sich wegen seiner Fälschungen und damit einhergehender Straftaten vor Gericht verantworten. „stern TV“ stellt sich dabei als Opfer eines Betrugs dar, während der Fälscher Michael Born sagt, er sei von den Anforderungen der Redaktion dazu getrieben worden. Kann man überhaupt genau sagen, wer hier Täter und Opfer war?

Ich habe mir die Gerichtsakte angeschaut. Darin kann man erkennen, mit welcher kriminellen Energie Born vorgegangen ist. Beispielsweise bei dem Beitrag über BSE-verseuchte Rinder, die angeblich illegal von Großbritannien über die Niederlande nach Mecklenburg-Vorpommern geliefert wurden: Den Skandal gab es nie. Er hat das bewusst aufgebauscht und dazu ein Interview mit einem Zeugen erfunden und nachgestellt. Das heißt auch: Es war ihm vollkommen egal, dass der Bericht die Behörden in mehreren Ländern auf den Plan gerufen hat und dass der beschuldigte Viehhändler hätte Pleite gehen können.

Der Richter hat ja dann auch Born zu vier Jahren Haft verurteilt, aber der Redaktion sinngemäß gesagt: So unschuldig könnt auch ihr nicht sein. Ich glaube, die Wahrheit liegt dazwischen. Hat die Redaktion schlampig gearbeitet? Es kommt darauf an, was ihre Absicht war. Wenn es ihr um die Aufregung und die Quote ging, hat die Redaktion erfolgreich gearbeitet. Ich habe nirgendwo Hinweise darauf gefunden, dass die Redaktion Fälschungen in Auftrag gegeben hat. Aber ich kann mir vorstellen, dass man vielleicht manchmal gewollt unvorsichtig war bei der Abnahme der Beiträge.

Dr. Stefan Piasecki ist Professor für Soziologie und Politikwissenschaft an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen und hat mehrere Lehraufträge inne. Zu seinen Forschungsinteressen gehört die Wechselwirkung von Medien, Religion und Gesellschaft. In diesem Jahr hat er das Buch „Fake-News, Fälschungen und Fiktionen. Wie stern TV in der Born-Affäre gelinkt wurde“ herausgegeben. Michael Born hatte Anfang der 90er Jahre mehrere Beiträge für „stern TV“ und andere Redaktionen gefälscht. Wegen eines Berichts über angebliche Umtriebe des Ku-Klux-Klans in Deutschland wurden Ermittler auf ihn aufmerksam, die nach der amerikanischen rechtsextremen Organisation fahndeten. Born wurde am 23. Dezember 1996 unter anderem wegen Betrugs, Verstößen gegen das Waffenrecht und Vortäuschung von Straftaten zu vier Jahren Haft verurteilt. Er starb 2019 in Österreich.

Stefan Piasecki (Hrsg.), Thomas Pritzl: „Fake-News, Fälschungen und Fiktionen. Wie stern TV in der Born-Affäre gelinkt wurde“, Edition vi:jo, 184 Seiten, 18,90 Euro

Interessanterweise sind die Einschaltquoten für „stern TV“ während des Skandals nicht zurückgegangen. Wie ist das zu erklären?

Das hat sicherlich mit der Zielgruppe von „stern TV“ zu tun. Diese Sendung schaltet man eher aus Event-Interesse und zur Unterhaltung ein, nicht in erster Linie, um sich zu informieren. Dafür gibt es Nachrichtensendungen wie die „Tagesschau“ oder „heute“. Außerdem: Wenn es da einen Skandal gibt, würde meine Aufmerksamkeit vielleicht sogar steigen, weil ich gespannt bin, wie sie damit umgehen.

War die Aufarbeitung des Skandals dann vor allem ein Thema, das die Medien diskutiert haben und weniger das Publikum von „stern TV“?

Ja, im Wesentlichen schon. Damals gab es ja noch kaum Möglichkeiten, sich interaktiv damit zu beschäftigen, wie das heute im Internet und in den sozialen Medien der Fall ist. Einige haben Briefe geschrieben, ansonsten war das ein Thema, das vor allem die Medienwelt beschäftigte.

Sie sagten, dass Born mit krimineller Energie handelte. Wie ähnlich ist er damit anderen Fälschern wie etwa Konrad Kujau, der der Zeitschrift „stern“ zehn Jahre zuvor angebliche Tagebücher von Hitler andrehte, oder in jüngerer Vergangenheit Claas Relotius beim „Spiegel“?

Sie hatten meiner Meinung nach alle das gleiche Problem: Wenn der Mensch sich daran gewöhnt hat, dass etwas funktioniert, dann bleibt er dabei. Das hat man bei Fälschern auch. Kujau hatte ja die Tagebücher gar nicht so groß geplant. Er ist von dem Erfolg selber überrascht worden und musste plötzlich nachliefern.

Bei Born war das ähnlich. Der hat einmal gesehen, dass er mit einer leichten Veränderung der Wahrheit zu Geld kommen kann. Er versucht es beim nächsten Mal wieder. Und dann kommt plötzlich von außen der Druck: Du hast so eine tolle Geschichte geliefert, hast du noch so eine? So macht man weiter und das Gebilde wird immer größer. Irgendwann wird man dann unvorsichtig. Man baut sich eine eigene Blase und hält diese für die Realität. Und dann merkt man natürlich nicht mehr, dass man an der tatsächlichen Realität, die ja überprüfbar ist, weit vorbeischreibt. So ist auch Relotius aufgeflogen.

Journalisten waren in vielen Medienskandalen gleichzeitig auch selbst daran beteiligt, dass Fehlverhalten ans Licht kam und eine Debatte darüber entstand. Lässt sich daraus schlussfolgern, dass die journalistischen Mechanismen doch funktionieren und sich Medien auch gegenseitig kontrollieren?

So sollte das idealerweise sein. Aber oft schreiben Medien voneinander ab und berichten über die Schlagzeilen der anderen, vor allem, wenn sie von den Platzhirschen in der Medienlandschaft kommen. Oft ist die Berichterstattung von Sensationen getrieben, weniger von echtem Aufklärungsinteresse. Viele Redaktionen haben ja auch gar nicht mehr das Personal, um intensiv zu recherchieren.

Dass gerade bei den Regionalzeitungen Redaktionen zusammengelegt werden, ist daher sehr problematisch. Indem die Mantelausgaben der einzelnen Regionalteile aufrechterhalten werden, sieht die Zeitungsvielfalt heute so aus wie vor 30 Jahren. Aber es sind teilweise gleichen Leute, die die Texte für ganz verschiedene Zeitungen liefern.

„Wir müssen uns von der Erwartung verabschieden, dass ein Beitrag eine Sache exakt so beschreibt, wie sie ist.“

Im Fall des Medienfälschers Michael Born hat die redaktionelle Kontrolle nicht ausreichend funktioniert. Und das in einer Hochzeit des Journalismus. Jetzt wird aufgrund der personellen Kapazitäten in den Redaktionen auch die Qualitätskontrolle schwieriger. Haben Sie einen Lösungsvorschlag für dieses Problem?

Der Druck damals war, in den Medien schnell viel Geld zu verdienen. Das Privatfernsehen war da noch jung, die Wiedervereinigung war gerade geschafft, man hatte eine neue große Reichweite und komplett neue Zielgruppen. Der Druck heute ist, nicht aus dem Mediensystem herausgeschleudert zu werden angesichts der dünner werdenden Personaldecke. Der einzige, der in diesem System wirklich etwas tun kann, ist der Endkunde, der Konsument. Er sollte sich bewusst von Medien verabschieden, mit deren journalistischer Qualität er nicht einverstanden ist. Aber auch bereit sein, für guten Journalismus Geld zu bezahlen.

Welchen Rat haben Sie noch für Mediennutzer, die sich fragen, ob Inhalte wahr oder gefälscht sind?

Als Mediennutzer müssen wir uns von der Erwartung verabschieden, dass ein Beitrag eine Sache exakt so beschreibt, wie sie ist. Das ist schon aufgrund der journalistischen Auswahlkriterien und der Gewichtung der einzelnen Informationen nicht möglich. Wir müssen uns bewusst machen, dass wir in einer Welt mit multiplen Wahrheiten leben, die sich je nach Standpunkt voneinander unterscheiden können.

Wie meinen Sie das?

Wir müssen uns klarmachen, dass eine bestimmte Aussage in unterschiedlichen Zielgruppen ganz unterschiedlich verstanden werden kann. Das heißt, dass nicht jeder die Welt so sieht, wie ich es tue, und dass andere demzufolge auch mediale Informationen anders bewerten und einordnen als ich. Das zeigt sich ebenso im Medienangebot selbst. Es kann sein, dass drei unterschiedliche Zeitungen aus derselben Pressemitteilung drei ganz verschiedene Beiträge machen.

Meinen Studenten sage ich: Ihr müsst euch aus der Bandbreite von Medieninformationen eine Meinung bilden, die dann euer Handeln in eurer Realität leitet. Dabei solltet ihr immer in der Lage sein, zu begründen: Wo habe ich das denn eigentlich her? Sonst stehe ich in der Gefahr, Populismus aufzusitzen.

Sie schreiben über Borns Fälschungen: „Die Macht sozialer Medien lässt das Gefahrenpotenzial ahnen, das uns diese Taten aufzeigen.“ Was meinen Sie damit?

Born wirkte über RTL und die Redaktion von „stern TV“ in eine endliche Gruppe der Gesellschaft hinein, nämlich in die Gruppe derjenigen, die die Sendung eingeschaltet haben oder am nächsten Tag in der Zeitung etwas darüber lasen. Die sozialen Medien heute sind dauerhaft, die Inhalte dort bleiben bestehen und erreichen potenziell jeden. Es ist nicht mehr begrenzt, sondern entgrenzt. Falschinformationen erreichen also viel schneller viel mehr Menschen. Das ist die Gefahr.

Vielen Dank für das Gespräch!

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