Seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 haben die deutschen Medienanstalten rund 3.000 antisemitische Beiträge und Kommentare zur Löschung an Plattformbetreiber übermittelt. Mehr als 500 strafbare antisemitische Inhalte habe man zudem an die Europäische Kommission gemeldet, sagte der Direktor der Thüringer Landesmedienanstalt, Jochen Fasco, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Anstalten arbeiteten dabei eng mit dem Bundeskriminalamt und Meldestellen wie „REspect!“ zusammen.
Fasco forderte Plattformbetreiber wie Facebook und X auf, ihre Kontrollen zu verbessern. „Es wird einiges gemacht, aber es reicht nicht aus“, sagte er. Oft seien die von den Landesmedienanstalten identifizierten Beanstandungen Inhalte, die die Plattformen selbst hätten erkennen können.
Zugleich zeigte sich Fasco überzeugt davon, dass die antisemitische oder extremistische Hetze im Internet langfristig weiter zunehmen werde. Die Verbreitung von Falschmeldungen, Desinformation oder Hassbotschaften gehörten längst zu den etablierten Mitteln der Politik, um Staaten oder Gesellschaften anzugreifen und zu destabilisieren.
Nach Einschätzung der Antisemitismusbeauftragten an der Universität Duisburg-Essen, Monika Hübscher, hat antisemitischer Hass in den sozialen Medien seit dem Überfall der radikalislamischen Hamas auf Israel vor einem Jahr eine neue Dimension erreicht. Im Diskurs sei eine Polarisierung und Entmenschlichung in der Sprache zu beobachten. Antisemitismus in den Netzwerken zeige sich in Kommentaren und Bildern, in denen jüdische Menschen vereinheitlicht, abgewertet oder stereotyp als übermächtig dargestellt würden. Antisemitismus offenbare sich auch durch Emoji-Kombinationen mit Bezug zur NS-Propaganda gegen Juden, etwa des Davidsterns und einer Ratte.
Hamas kalkulierte Mechanismen sozialer Medien mit ein
„Soziale Medien haben die Entstehung und Verbreitung von Antisemitismus revolutioniert“, sagte Hübscher. Einer der Hauptfaktoren seien Algorithmen, die sich in hohem Maße auf Likes, Kommentare, Shares sowie Klickraten stützten, um die Beliebtheit und Relevanz von Inhalten zu bestimmen. Mehrere Studien zeigten, dass sie aber vor allem die Sichtbarkeit von provokanten und hasserfüllten Inhalten steigerten.
Die Hamas kalkulierte nach Einschätzung der Forscherin bei der Planung des Angriffs vor einem Jahr die Wirkung sozialer Medien bewusst ein, um ihren Terror zu verstärken. „Sie wusste, die hochgeladenen brutalen Videos würden global millionenfach von Menschen unmittelbar gesehen, über Sprachbarrieren hinweg“, sagte sie. „Infolge der Veröffentlichung von Videos und Bildern der Terrorattacke auf den Plattformen gab es eine erschreckende Menge an Posts, die diese Gräueltaten als Dekolonialisierung, Widerstand oder Freiheitskampf feierten.“
Eine nach der Terrorattacke großangelegte Kampagne auf den Plattformen habe darauf abgezielt, die Hamas als Befreierin zu „framen“ – also in einem verfälschten Rahmen darzustellen – und zugleich Israelis zu dämonisieren. Die seit dem Angriff oft gepostete Bezeichnung „Zionisten“ anstelle von Zivilisten oder Soldaten ziele darauf ab, Israelis und Juden zu dehumanisieren.