„Du stehst da wie eine Klo-Bürste, siehst nicht aus wie ein Popstar und wirst nie einer sein.“ „Du wirst dein ganzes Leben lang ein scheiß Friseur sein.“ Oder: „Geh nach Haus und lass dich löschen.“ Die beleidigenden Sprüche von Musikproduzent und TV-Moderator Dieter Bohlen in der Casting-Show „Deutschland sucht den Superstar“ (RTL) sind berüchtigt. Und gleichzeitig dürften sie ein wichtiger Grund für die Beliebtheit der Sendung sein.
Die Vertreter der 14 Landesmedienanstalten haben vergangene Woche ein Beratungspapier (pdf) veröffentlicht, in dem sie vor allem einen neuen Trend zu „nicht-fiktionalen“ Formaten kritisch ansprechen. In Casting- und Doku-Sendungen würden „von Medienprofis gelenkte Medienlaien“ als Hauptdarsteller auftreten, ohne dass sie jedoch über die nötigen Kompetenzen verfügten oder einschätzen könnten, „worauf sie sich wirklich eingelassen haben“. Gleichzeitig dienten die Laien der Unterhaltung des Massenpublikums.
„Immer wieder wird das Zeigen der Gefühle medienunerfahrener Mitwirkender zum wesentlichen Reiz eines Programms“, prangern die Medienexperten an, zu deren Aufgaben unter anderem die Beobachtung und Analyse der Programmentwicklung gehört. „Immer wieder entsteht aus dem Gefälle in den jeweiligen Kompetenzen von Medienprofis und Medienlaien der Reiz, der das Publikum unterhalten soll. Immer wieder wird auf diese Weise an Untugenden der Teilnehmer appelliert, deren Einsatz zu Vorteilen führen.“ Und immer wieder werde dabei die Menschenwürde missachtet, so die Experten.
Dies, so der Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM), Thomas Langheinrich, verletze zwar keine konkreten Gesetze. Doch die „Toleranzgrenzen von einzelnen Zuschauern und Zuschauergruppen“ würden „strapaziert“ und Gefühle verletzt. „Wenn weiterhin die Grenzen der Rundfunkfreiheit bis zum Letzten ausgereizt werden, drohen die Programme massiv an Glaubwürdigkeit zu verlieren und tragen zu einem Verlust gesamtgesellschaftlicher Werte bei“, so Langheinrich. „Auch wenn das Handeln solcher TV-Veranstalter rechtlich nicht zu beanstanden ist, bleibt es ein moralisches Versagen, die Schwächen von medienunerfahrenen Menschen zum Zwecke der Unterhaltung auszustellen und auszunützen“, heißt es in dem Beratungspapier.
„Wertevernichter Fernsehen“
Die DLM prangert Programmangebote an, „die die Aufmerksamkeit des Publikums dadurch finden wollen, dass sie vom Üblichen, vom Erwartbaren, vom Normalen abweichen“. Dadurch bekomme „das Anstößige und Provokante, das Sensationelle oder auch Monströse“ einen hohen Rang. Zugleich bilde sich beim Publikum eine „Grauzone des Verdrusses“: „Einzelne Zuschauer oder auch Gruppen von Zuschauern fühlen sich durch die entsprechenden Angebote in ihren Gefühlen und Vorstellungen verletzt. Sie sehen darüber hinaus solche Verletzungen auch im Blick auf gesamtgesellschaftliche Werte. Sie verstehen das Fernsehen als einen Wertevernichter.“
Weiter heißt es: „Das Publikum fühlt sich solchen Tendenzen gegenüber hilflos und ohnmächtig. Denn die Beschwerden dieser Zuschauer, die bei den Landesmedienanstalten eingehen, bleiben, da es sich nicht um Rechtsverletzungen handelt, für die TV-Veranstalter ohne Folgen. Was bleibt und was auch zählt, sind öffentliche Debatten über bestimmte Programme und Tendenzen.“
Dabei habe der Gesetzgeber den privaten Fernsehsendern in Deutschland in inhaltlichen Fragen „von Anfang an große Spielräume gelassen“, erinnern die Experten. „Dies geschah im Vertrauen darauf, dass vor allem der Markt Fehlentwicklungen korrigieren werde. Das Resultat dieses Ansatzes ist einerseits, dass Programmbeschwerden in 25 Jahren Privatfunk selten geblieben sind.“ Dennoch sei nicht zu übersehen, „dass damit andererseits ein Programmtyp eine Bedeutung erlangt, dass Inhalte durch diesen Ansatz begünstigt werden, die zwar innerhalb einer durch die Rundfunkfreiheit gesetzten Grenze bleiben, zugleich aber außerhalb der Toleranzgrenze von vielen einzelnen Zuschauern oder auch Zuschauergruppen.“
Kritisiert werden müsse, wenn das Prinzip der Fernsehsender „Gewinnmaximierung durch Quotenoptimierung“ dazu führe, dass sie nicht mehr die „Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe“ zum Ziel hätten, sondern gesellschaftliche Werte der Unterhaltung des Publikums geopfert werden. Das müsse auch „in Zeiten eines verschärften Wettbewerbs und einer insgesamt schwierigen Marktlage, wie sie derzeit zu beobachten sind“, zu beachten sein.
„Menschenwürde nicht subjektiv zu bestimmen“
Eine „uneingeschränkte ‚Benutzung‘ von Menschen in Programmen“ führe in die Irre, warnen die Medienexperten. „Es ist nicht dem Belieben des einzelnen Akteurs überlassen zu bestimmen, wann er sich in seiner Würde verletzt fühlt. Es ist keine individuelle Entscheidung allein, was jemand vom Kernbereich seines individuellen menschlichen Lebens dem Blick Dritter preisgeben oder sogar anbieten möchte. Menschenwürde ist nicht abschließend subjektiv und individuell zu bestimmen. Sie enthält einen interpersonalen Kern, auf den man nicht verzichten, den man nicht abdingen kann. Andernfalls könnte sie auch nicht der Ausgangspunkt der Verfassung sein (Art 1 GG), die für alle Bürger gilt.“
Besonders warnt die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten vor dem Zeigen von sterbenden Menschen – selbst wenn diese ihre Einwilligung gegeben haben. Dies verstoße gegen „das Gebot der Unantastbarkeit der menschlichen Würde“. In England etwa hatte im März Jade Goody, eine Teilnehmerin der Reality-Show „Big Brother“, die Öffentlichkeit per Fernsehen an ihrem Tod teilhaben lassen und dafür, aus welchen Gründen auch immer, Geld verlangt. „Erinnert werden muss, dass auch die Rundfunkfreiheit nicht grenzenlos ist“, schreiben die Experten. „Das Publikum interessiert sich weniger dafür, ob ein Programm legal, sondern ob es auch legitim ist.“
Die 14 Landesmedienanstalten in Deutschland sind für die Zulassung und Aufsicht sowie den Aufbau und die Fortentwicklung des privaten Hörfunks und Fernsehens in Deutschland zuständig. (PRO)