Das Coronavirus hat nicht nur Politik und Gesellschaft in einen Krisenmodus versetzt, sondern auch die Berichterstattung. Das beobachteten die Literatur- und Medienwissenschaftler Dennis Gräf und Martin Hennig von der Universität Passau. Sie analysierten für eine Studie, welche Argumente, Inszenierungen und inhaltlichen Schwerpunkte die Sondersendungen von ARD und ZDF zwischen Mitte März und Mitte Mai aufgriffen. Allein die schiere Anzahl von Sondersendungen zur Corona-Pandemie vermittle ein „permanentes Krisen- und Bedrohungsszenario“, das in den Augen der Forscher den Blick auf die Welt verenge: So habe es innerhalb von 15 Wochen 51 ARD-Extra- und 42 ZDF-Spezial-Sendungen gegeben. Dabei seien diese Formate, die nach den Hauptnachrichten ausgestrahlt werden, normalerweise für besondere nachrichtliche Anlässe vorgesehen, also eigentlich die Ausnahme. Wenn die „nahezu täglich … zum neuen Regelfall stilisiert“ werde, sei das eine „Engführung“ der Lebenswelt und der Weltsicht, erklären die Forscher.
Auch die Sendungen selbst seien stark von einer „Krisenrhetorik“ geprägt gewesen und hätten eine insgesamt negative Weltsicht vermittelt, stellten Gräf und Hennig bei ihrer medien- und kulturwissenschaftlichen Auswertung fest. Die Maßnahmen, um das Virus einzudämmen, seien vor allem mit Blick auf ihre problematischen Auswirkungen thematisiert worden, kaum als Lösung oder möglicher Weg zum Erfolg, die Pandemie zu bewältigen. Maßnahmen gegen die Krise seien als neue Krise erschienen. Dabei bedienten sich die Beiträge teilweise einer Inszenierung, die an fiktionale Weltuntergangs-Erzählungen erinnere, etwa immer wiederkehrende Bilder von verwaisten Straßen und Geschäften. Auch mögliche Zukunftsaussichten hätten die Sendungen vor allem dystopisch, als unsicher und instabil beschrieben.
Zwar sei im gesellschaftlichen Diskurs deutlich geworden, dass die Maßnahmen gegen die Pandemie laufend angepasst und öffentlich diskutiert werden müssten. Jedoch hätten die Sondersendungen von ARD und ZDF „eine Identität von Virus und Maßnahmen inszeniert, wodurch die Maßnahmen als genauso ‚natürlich‘ und in gewisser Hinsicht unhinterfragbar wie der Virus selbst erscheinen“. Tiefergehende Kritik an den Maßnahmen vermissten die Forscher in den Sondersendungen. Gleichwohl wollen sie das nicht als automatisch als „Staatshörigkeit“ verstanden wissen. Was sie den Sendern aber attestieren, ist eine Tendenz zur „Krisenerhaltung“. Das jedoch verenge den Blick auf alles, was jenseits dieser Krise liege.
Die beiden Wissenschaftler betonen, dass sie mit ihrer Analyse aufzeigen wollten, welche Argumentationsmuster und Erzählperspektiven in den Sendungen vorkamen. Es gehe ihnen nicht darum, sie zu bewerten. Die Studie ist zunächst als Vorabveröffentlichung erschienen und soll im Magazin des Graduiertenkollegs Privatheit der Universität Passau abgedruckt werden.
Von: Jonathan Steinert