Der Medienwissenschaftler Otfried Jarren stellt in einem Essay der aktuellen Ausgabe von epd-Medien, einer Publikation des Evangelischen Pressedienstes (epd), fest, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Rolle in der Coronakrise noch nicht gefunden habe. Die Sender sähen sich als Teil des Systems. Stattdessen sollten sie aber die politischen Entscheidungen kritischer begleiten und hinterfragen – vor allem, wenn bei diesen fast kein Raum mehr für Debatten bleibe und von den geteilten staatlichen Gewalten die Exekutive, also die Regierung, mehr Macht ausübe.
„Die für Talksendungen und Unterhaltung zuständigen Personen haben eine einfache Programmplanung: Corona. In möglichst vielen Sendungen, zu allen Zeiten, mit allen Moderatorinnen und Moderatoren, die man aufzubieten hat. Die Inszenierung von Bedrohung und exekutiver Macht dominiert“, schreibt Jarren in dem epd-Heft. Auffällig sei, dass sich Journalisten auf einen kleinen Kreis von Experten fokussierten und vor allem Politiker mit Regierungsfunktion zu Wort kommen ließen – in Nachrichten ebenso wie in Talkshows. Auch Politiker beriefen sich bei ihren Entscheidungen auf Experten. Jarren, Präsident der Eidgenössischen Medienkommission und bis 2018 Professor an der Universität Zürich, betont: „Medien wie Journalismus dürfen nicht Teil eines Exekutiv-Experten-Systems sein oder werden.“ Ihre Aufgabe sei es vielmehr, unabhängig zu handeln. „Die eigenständige Position der Medien gilt es stets zu verdeutlichen.“
Zudem müssten Medien deutlich machen, welcher Akteur welche Kompetenz hat und wofür zuständig ist. Jarren vermisst auch in den Medien weiterführende Debatten zwischen verschiedenen Experten. Gerade wenn das öffentliche Leben und somit Formen der demokratischen Kontrolle eingeschränkt seien, dürfe Journalismus nicht „im Homeoffice verschwinden“, sondern müsse öffentlich präsent sein und vor Ort recherchieren. Unabhängigkeit und Kompetenz seien wichtig dafür, dass öffentlich-rechtlicher Journalismus auch über die Krise hinaus als relevant angesehen wird.
Kritik auch von Medienjournalisten
Der Medienjournalist Christoph Sterz kritisierte im öffentlich-rechtlichen Deutschlandfunk einige seiner Kollegen aus ähnlichen Gründen. Es mache ihn „fassungslos“, wie manche Journalisten „einfach nur die Statements der führenden Politikerinnen und Politiker eins zu eins“ wiedergeben – „ohne Einordnung, ohne kritische Fragen“. Die Diskussion zu den verhängten Maßnahmen würden nicht überall in der nötigen Breite geführt. „Stattdessen übernehmen einige Medienmacher sogar selbst die Rolle des Mahners und Handlungs-Empfehlers“, kommentierte er im Deutschlandfunk.
Er stellt infrage, dass Journalisten selbst zum Akteur werden sollten. Statt sich einer Corona-Kampagne anzuschließen, sei es die Aufgabe von Journalisten, Folgendes zu liefern: „nüchterne Informationen, fachkundige Einordnung, das Stellen kritischer Fragen, auch mal das Artikulieren von Zweifeln – oder von dem, was wir bis jetzt einfach noch nicht wissen“. Andere Medienjournalisten äußerten sich ähnlich. Auf dem Portal Übermedien etwa schrieb Andrej Reisin Mitte März: „Es ist aber auch in Krisenzeiten nicht die eigentliche Aufgabe der Medien, den verlängerten Arm der Regierung zu spielen.“
Journalismus unter Druck
Der politische Journalismus stehe momentan unter besonderem Druck, heißt es in einem Beitrag des NDR-Magazins „zapp“. Denn das hohe Tempo der Entwicklung und die Fülle an Gesetzen, die etwa in der vorigen Woche innerhab kürzester Zeit verabschiedet wurden, ließen auch Journalisten wenig Zeit, das umfassend zu reflektieren. Der ARD-Journalist Michael Stempfle erklärte gegenüber dem Sender, dass Journalisten in den sonst monatelangen Gesetzgebungsverfahren Möglichkeiten hätten, Kritikpunte von Opposition und Experten zu sammeln, Vor- und Nachteile eines Vorhabens zu verstehen. „Das machen wir jetzt auch, aber bei der Fülle von Maßnahmen in so kurzer Zeit kommt am Schluss weniger pro Gesetz in die Berichterstattung“, zitiert ihn der NDR. Und er gesteht ein: Vielleicht werde im Moment ein Ticken weniger hinterfragt als normalerweise, „was das Ganze auch ein bisschen problematisch macht“.
Der Virologe Christian Drosten, mit dem der NDR einen Podcast zur Coronakrise produziert, kritisierte indes seinerseits die Medien: Sie würden Wissenschaftler teilweise als diejenigen darstellen, die über Maßnahmen gegen das Virus entscheiden. Das sei aber nicht der Fall. „Die Wissenschaft hat kein demokratisches Mandat. Ein Wissenschaftler ist kein Politiker, der wurde nicht gewählt und der muss nicht zurücktreten“, betonte er in Folge 24 vom Montag. „Es gibt Zeitungen, die malen inzwischen nicht nur in den Wörtern, sondern in Bildern, Karikaturen von Virologen. Ich sehe mich selber als Comicfigur gezeichnet und mir wird schlecht dabei. Ich bin wirklich wütend darüber, wie hier Personen für ein Bild missbraucht werden, das Medien zeichnen wollen, um zu kontrastieren“, sagte er und unterstrich: „Das muss wirklich aufhören.“
Von: Jonathan Steinert