„Das geistige Leben verändert sich, wenn Gottesdienste und Gemeindearbeit wegfallen“, stellt der Deutschlandfunk fest. Für den Sender befragte die Journalistin Christiane Florin den katholischen Theologen Magnus Striet, Professor für Fundamentaltheologie an der Uni Freiburg.
Im Gespräch stellen die beiden fest, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Fernsehansprache am Mittwochabend das religiöse Leben in Deutschland nicht erwähnt habe. „Weder die Kirchen noch die Synagogen noch die Moscheen – was für die Tochter eines Pfarrers schon erstaunlich ist“, so Florin. Ihm sei das auch aufgefallen, sagte Striet und ergänzte: „Religionsfreiheit ist auch ein hohes Gut, aber im Moment gilt eine andere Priorisierung. Deshalb wird eingeschränkt.“ Dass sich weder der Zentralrat der Muslime noch die Kirchen gegen das Gottesdienstverbot zur Wehr gesetzt haben, erklärt er sich damit, dass alle „einen Lernprozess durchgemacht“ und „naturwissenschaftliche Kenntnisse, Wissenskomplexe schlicht und einfach akzeptiert“ hätten. „Ich hoffe, dass sich hier ein Sieg der Vernunft andeutet.“ Die Kirchen und die Theologien akzeptierten, dass die Systeme, innerhalb derer sie lebten, ihre eigenen Rationalität verfolgten.
Striet findet es „zynisch“ zu sagen, Gott schicke physisches Übel und Naturkatastrophen als Strafe. Es zeuge „nicht gerade von einer intellektuellen Anstrengung“. Solche Übel seien natürlichen Prozessen geschuldet und hätten nichts mit einem Wirken Gottes zu tun. Der Theologe spricht angesichts von Leid, etwa durch einen Virus, „das berühmte Theodizee-Problem“ an: „Man wird auch Gottgläubige nicht von der Frage entlasten können: Warum überhaupt dieses Elend?“ Striet: „Ich empfehle Theologie-Studierenden immer als Grundlektüre von Albert Camus ‚Die Pest‘. In diesem Buch, 1947 erschienen, werden ja bereits alle Fragen durchgespielt.“ Camus verabschiede sich hier von einem Kinderglauben, dass Gott straft.
Von der Kritik daran, dass die Religionsausübung derzeit eingeschränkt werde, halte er wenig. „Natürlich ist es gläubigen Menschen sehr wichtig, ihre Gottesdienste feiern zu können. Aber wir sind im Moment an einem anderen Punkt. Es gibt eine riesige Gesundheitskrise (…).“ Gemäß etwa der jüdischen Religionsphilosophie des ausgehenden 19. Jahrhunderts sei der Gottesdienst definiert als ethische Praxis. Striet ergänzt eine Aussage Jesu: „Wenn du beten willst, geh in deine Kammer.“ Gottesdienst könne auch bedeuten, nachbarschaftliche Hilfe zu leisten oder still zu beten.
Videos einer Pfarrerin: „Habt Zuversicht!“
Auch die Süddeutsche Zeitung wandte sich zum Thema „Coronavirus und Glaube“ an eine Geistliche: Pfarrerin Theresa Brückner berichtet der Zeitung, dass sie seit Freitag auf Bitten ihres Arbeitgebers, der Evangelischen Kirche in Deutschland, in Quarantäne sei, weil sie auf einer Konferenz war, an der auch jemand aus einem Risikogebiet teilgenommen hat. Die 33-Jährige ist Pfarrerin im digitalen Raum im Berliner Kirchenkreis Tempelhof-Schöneberg. Unter dem Namen „Theresaliebt“ erzählt sie auf YouTube und Instagram vom Glauben und ihrem Beruf – und im Moment vor allem von Corona. „Da ist der Bedarf natürlich im Moment riesig“, so Brückner.
Die Botschaft in ihren Videos laute vor allem: „Habt Zuversicht. Weil ich daran glaube, dass es irgendwann wieder besser wird. Aber ich will auch Mut machen, dass diese Einschränkungen jetzt auch Teil dessen sind, dass wir aufeinander Rücksicht nehmen und uns in Nächstenliebe begegnen müssen. Und dass das eben auch bedeutet, dass man auf körperlichen Abstand geht, aber trotzdem noch in Kontakt sein kann.“
Für die Pfarrerin ist klar: „Christsein und Glauben feiern geht eben auch online und digital. Und das wird jetzt umso mehr gebraucht. Es gab ja auch vorher schon Menschen, denen es aus verschiedenen Gründen nicht möglich war, zur Kirche zu gehen.“ Der Süddeutschen Zeitung erklärte sie, dass sie in ihren Videos Gebete spreche, Abendgesänge vertone und aus der Bibel vorlese. „Meine Follower können mir Nachrichten schicken und ich antworte ihnen. Damit fühlt man sich in dieser Isolation eben nicht so alleine.“
„Benediktiner sind seit 1.500 Jahren in Quarantäne“
Der Radiosender WDR 5 befragte den katholischen Theologen und Psychotherapeuten Manfred Lütz zur Coronakrise. Die könne auch zwischenmenschliche Beziehungen vertiefen, sagte Lütz. Die Menschen müssten jetzt aktiv werden „und sich nicht einfach nur passiv nach Hause zurückziehen und gucken, wie viele Todesfälle es wieder gibt“. Mit der Reduzierung von sozialen Kontakte seien die körperlichen und nicht die geistigen gemeint. „Man muss jetzt Menschen, die einsam sind, anrufen und nicht denken, es stört“, so Lütz. Auch die sozialen Netzwerke könnten genutzt werden.
Der ehemalige Chefarzt des Kölner Alexianer-Krankenhauses sieht in der Quarantänesituation aber auch Gefahren für zwischenmenschliche Kontakte. Wichtig sei es, „dass man nicht dauernd miteinander quatscht“. Lütz schlägt verabredete abendliche Gespräche von etwa einer Dreiviertelstunde vor. Als gutes Beispiel für das Verhältnis von Kontakt und Rückzug nannte er den Benediktinerorden, der „seit 1.500 Jahren Quarantäne“ verfolge. Die Benediktregel gebe einen guten Weg vor, das Alleinsein des Mönches mit dem Leben in Gemeinschaft zu verbinden, so Lütz.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung besuchte den katholischen Pfarrer Łukasz Szafera aus Hanau und fragte ihn nach den neuen Wegen, auch in Zeiten der Coronakrise Menschen weiterhin Zugang zur Religion zu ermöglichen. Im Video erklärt er, wie seine Gemeinde mit der neuen Situation kreativ umgeht:
Von: Jörn Schumacher