Für beide ist es ein Spagat: Marc Jost ist Generalsekretär der Schweizer Evangelischen Allianz, mit einer klaren Haltung zum Thema Homosexualität und zur Ehe für alle. Vater Samuel outete sich mit 54 Jahren als homosexuell. Wie sich das auf ihr Verhältnis niederschlägt, erklären der 74-jährige Vater und sein 45-jähriger Sohn im Gespräch mit der Neuen Zürcher Zeitung.
Samuel Jost weiß schon früh, dass er etwas für Männer empfindet. Trotzdem gründet er eine Familie. Der Lehrer lebt mit seinen Schuldgefühlen. Mit Mitte 30 möchte er sich umbringen. Öffentlich macht er seine Homosexualität erst mit 54 Jahren, als die Kinder erwachsen sind. Inzwischen lebt er in einer eingetragenen Partnerschaft.
„Ich verstand seine Verzweiflung“
Sohn Marc ist nicht nur Generalsekretär in der Schweizer Evangelischen Allianz, sondern könnte bald für die Evangelische Volkspartei (EVP) in den Schweizer Nationalrat nachrücken. Er kämpft gegen die Ehe für alle – und damit gewissermaßen gegen seinen Vater. Nach dessen Coming-Out hat er seinen Vater vor allem bedauert: „Ich verstand, wie verzweifelt er gewesen sein muss.“
Die Trennung der Eltern habe ein „unehrliches Verhältnis“ beendet. Die bis dahin schon belastete Beziehung zwischen Vater und Sohn hat sich durch das Comingout nicht entspannt. Marc Jost sagt im Interview, dass er Zeit gebraucht habe, um über die Neigungen seines Vaters hinwegzukommen. Die Bibel sei in diesem Punkt klar: Sexualität gehöre ausschließlich in die Ehe von Mann und Frau.
Vorwürfe habe er seinem Vater nie gemacht. Jeder sei auf die „Barmherzigkeit des Schöpfers“ angewiesen. Er wolle den Menschen als solchen wertschätzen. Für die Beziehung habe der zeitliche Abstand Klarheit gebracht. Trotz der inhaltlichen Differenzen könnten sie „Ja zueinander sagen“. Der Vater sagt im Rückblick, dass seine Familie ihn nie im Stich gelassen habe, auch wenn er ihr viel zugemutet habe.
Auch Homosexuelle haben Sehnsucht nach Gott
Seine frühere Gemeinde, eine Freikirche, besucht er nur noch zu familiären Anlässen: „Ich spürte nach meinem Coming-Out eine große Einsamkeit, viele Menschen wandten sich von mir ab und grüßten mich nicht mehr.“ Auch Homosexuelle empfänden eine Sehnsucht nach Gott. In Freikirchen hätten sie es mit ihrer Lebensweise schwer.
Er habe eine Konversionstherapie gemacht – ohne „Heilung“. Er glaube nicht, dass Sexualität veränderbar sei: „Deshalb verurteile ich Therapien aufs Schärfste, die die Sexualität eines Menschen in eine bestimmte Richtung lenken wollen.“ Sein Sohn rät ihm, enthaltsam zu leben. Aus dessen Sicht müsse sich Sexualität innerhalb eines gewissen ethischen Rahmens abspielen. Die eigenen Kinder würden unvoreingenommen mit dem Sachverhalt umgehen. Aus Sicht des Großvaters „echter als die meisten Erwachsenen“.
Im Interesse des Kindeswohls mit Vater und Mutter aufwachsen
Enttäuscht zeigt sich der Großvater über die „selbsternannten Patriarchen“ in den Gemeinden, die erklärt hätten, was richtig und was falsch sei. Sohn Marc findet, dass wörtliche Zitate aus Stellen im Alten Testament in der Debatte zu nichts führten. Auch wenn es ihn schmerze, die Verbindung des Vaters nicht wie eine Ehe behandeln zu können, wünsche er ihm und dessen Partner das Beste.
Sohn Marc möchte im „Interesse des Kindeswohls“, dass die Kinder einen Vater und eine Mutter haben. Dies sieht der Vater anders: „Homosexuelle Paare wollen Kinder aus tiefster Überzeugung.“ Vielleicht seien sie sogar die besseren Eltern. Die Beziehung zu seinem Vater möchte der Sohn fördern. Trotzdem werde Homosexualität bewusst nicht tabuisiert. Den Vater tröste Marcs Aussage, dass dieser „nie einen anderen Vater“ gewollt habe. Es zeige ihm, dass seine Familie ihn nie im Stich lassen würde.
Von: Johannes Blöcher-Weil