Der Publizist und Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma hat sich für eine klare Trennung von Literatur und Journalismus ausgesprochen. „Die Reportage ist keine Literaturform“, sagte er am Freitag, 14. Juni, zum Auftakt der Netzwerk Recherche Jahreskonferenz 2019 beim NDR in Hamburg. „Literatur kann machen, was sie will. Die Reportage nicht“, sagte er. Das schränke auch die stilistischen Mittel ein, die ein Reporter zur Verfügung habe. Er dürfe etwa mehrere Tage nicht zu einem einzigen verdichten. Er sei „entgeistert“ gewesen, als er im Abschlussbericht zum Fall Relotius beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel gelesen habe, dass Journalisten dies nicht grundsätzlich ablehnten. Zu Vorgehen wie diesem sagte er: „Das ist Betrug am Leser“, und es sei auch Selbstbetrug des Journalisten.
Reemtsma sagte, er selbst lese keine Reportagen. Die Form interessiere ihn nicht. Er habe sich aber die Reportagen von Relotius ausgedruckt und sie stichprobenartig gelesen. „Es war mühsam, da reinzugucken“, sagt er. Er las den Anfang einer Relotius-Reportage vor, in der der Reporter über den Videochat mit einem jungen Mann schreibt, und sagte: „Das ist ein schlechtes Drehbuch.“ Reemtsma: „Wer diese Reportagen als stilistische, journalistische Meisterleistung ausgezeichnet hat, hat nicht alle Tassen im Schrank.“
Der Spiegel-Reporter Claas Relotius war im Dezember vergangenen Jahres überführt worden, Inhalte seiner Texte ganz oder teilweise erfunden zu haben. Er hatte er zahlreiche Preise bekommen, unter anderem mehrfach den Deutschen Reporterpreis.
Von: Friederike Lübke