Um ein Haar wäre auch Aaron Berhane heute in Haft. Genau wie seine Redaktionskollegen säße er dann ohne Kontakt zur Außenwelt in einem eritreischen Gefängnis. Seit nunmehr 18 Jahren. Am 23. September 2001, fünf Tage nachdem die Regierung alle unabhängigen Redaktionen im Land schließen ließ, ging es auch den Journalisten selbst an den Kragen. Berhane hatte Glück: Zum Zeitpunkt der Festnahmen hielt er sich versteckt. In weiser Voraussicht hatte er sein Haus nicht mehr betreten, seit seine Zeitung, die „Setit“, zwangsgeschlossen wurde. Er hielt sich versteckt und kam so mit seiner Freiheit davon. Sein Kollege Dawit Isaak aber zahlte einen hohen Preis für das Recht auf Pressefreiheit. Seit 2001 sitzt er in Haft. Was aus ihm geworden ist, weiß niemand. Denn den Gefangenen wird jeder Kontakt zur Außenwelt untersagt. Informationen über ihren Zustand gibt die Regierung nicht heraus. Die Organisation Reporter ohne Grenzen setzt sich für seine Freilassung ein – bisher ohne Erfolg.
Eritrea zählt zu jenen Ländern, die grundlegende Menschenrechte tagtäglich verletzen. Auf der Rangliste der Pressefreiheit listet Reporter ohne Grenzen das afrikanische Land auf dem 178. von 180 Plätzen. Schlechter geht es Journalisten demnach nur in Nordkorea und Turkmenistan. Aaron Berhane floh 2002 nach Kanada, er unterrichtet heute an einem College in Toronto und betreibt die Webseite Meftih, ein Informationsportal über Eritrea. Doch er setzt sich auch dafür ein, dass es seinen Kollegen in der Heimat bald besser geht.
Bei einer Stipvisite in Berlin berichtet er: In seinem Heimatland gebe es aktuell nur eine TV- und Radiostation sowie eine Zeitung – alle Redaktionen seien vom Staat kontrolliert. „Sie sind eigentlich Beamte, nicht wirklich Journalisten“, sagt er über diejenigen, die dort noch heute in seinem Beruf arbeiten. „Sie haben keine Wahl.“
„Man versuchte, uns einzuschüchtern“
Als er seine Zeitung 1996 gründete, sei das noch anders gewesen. Eritrea hatte drei Jahre zuvor die Unabhängigkeit von Äthiopien erklärt. Doch ab 1998 brach der Konflikt zwischen beiden Ländern wieder auf. Berhane erinnert sich: Wer die Regierung in dieser Zeit kritisiert habe, sei als Bedrohung für die nationale Sicherheit behandelt worden. „Wir waren sehr vorsichtig.“ Doch Präsident Isayas Afewerki, früher Chef der bewaffneten Eritreischen Volksbefreiungsfront, ging immer härter gegen Presseleute vor. „Wann immer wir einen General kritisiert haben, wurden wir angerufen und man versuchte, uns einzuschüchtern“, sagt Berhane.
Im Juni 2001 veröffentlichte Berhanes Zeitung einen offenen Protestbrief von Journalisten gegen den Präsidenten. Ab da begriff letzterer die Medien endgültig als Bedrohung. Eine Woche nachdem die Türme des World Trade Centers in Flammen standen, erfolgte der harte Schlag gegen die freie Presse. „Alle schauten nach Amerika, keiner interessierte sich für das, was in Eritrea geschah“, erklärt sich Berhane heute, dass es keinen breiten internationalen Protest gegeben habe. Afewerki habe den Medienmachern vorgeworfen, mit dem Feind zu kollaborieren. „Alles, was sie sagten, war falsch.“ Dennoch zementierte er das Ende der Presselandschaft seines Staates. Und das Ende der Freiheit von derzeit noch elf Journalisten und vier Medienmitarbeitern im Land. „Wir haben keinen Beleg dafür, dass sie noch leben“, sagt Berhane über seine Kollegen von der Zeitung Setit.
Während er selbst immer wieder internationale Gespräche zur Besserung der Situation in seiner Heimat führt – zuletzt nach eigenen Angaben mit der schwedischen Regierung –, wirft er dem Westen Untätigkeit vor. „Man erwartet nur, dass der Diktator plötzlich seine Meinung ändert, und sie frei lässt“, sagt er. Stattdessen müsse es Sanktionen gegen eritreische Offizielle geben.
Auch Christen geht es schlecht
Einen organisierten Widerstand aus dem Innern der eritreischen Bevölkerung heraus kann er derzeit nicht erkennen. Junge Menschen täten sich schwer damit, sich gemeinsam für die Freiheit einzusetzen, wenn es keine Führungsfigur gebe, an der sie sich ausrichten könnten. Eine Plattform für Widerstand hätten religiöse Gruppen bieten können. Die Pfingstbewegung etwa galt zeitweise als aufstrebende Kraft neben den etablierten Kirchen und dem Islam in Eritrea. Das aber erkannte auch der Präsident – und ließ sie verbieten. Heute sind laut der Organisation Open Doors nur noch die eritreisch-orthodoxe, die katholische und die lutherische Kirche legal.
„Es gibt keine Religionsfreiheit in Eritrea“, sagt auch Berhane. Ein engagiert gelebter Glaube sei für die Regierung eine Bedrohung gewesen. Im aktuellen Weltverfolgungsindex liegt Eritrea auf Platz sieben. Nur in sechs weiteren Ländern – unter ihnen auch Nordkorea – sind Christen stärker unter Druck. Damit trifft auf Eritrea zu, was Menschenrechtsexperten immer wieder erklären: Grundlegende Freiheiten gibt es meist nur im Bündel – oder eben nicht. Wo es an Religionsfreiheit mangelt, mangelt es auch an Pressefreiheit und umgekehrt.
Von: Anna Lutz