Heiß her ging es beim Vortrag von Jörg Bollmann, Direktor des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP), und der anschließenden Podiumsdiskussion in Schwäbisch Gmünd. Bei seinem Versuch, das Christliche vom Unchristlichen zu trennen, differenzierte Bollmann zwischen vorreformatorischem Verständnis und nachreformatorischen Haltungen. Vor der Reformation habe die Katholische Kirche darüber entschieden, was richtig und was falsch sei. Nach der Reformation habe der Glaube des jeweiligen Landesfürsten eine entscheidende Rolle gespielt, „was ja im reformatorischen Sinne schon ein Fortschritt war. Und was ist nach unserem heutigen Verständnis unchristlich? Wer definiert das im 21. Jahrhundert?“, fragte Bollmann.
Bei seinem Versuch, diese Frage zu klären, nahm Bollmann auf einen in ideaSpektrum erschienenen Kommentar Bezug, der seinerseits als Reaktion auf einen Meinungsbeitrag von chrismon-Chefredakteurin Ursula Ott formuliert wurde. Ott hatte gefordert, den Paragrafen 219a, in dem Werbung für Abtreibungen verboten wird, abzuschaffen. In ihrem Kommentar hatte sie unter anderem argumentiert, dass es für Frauen wichtig sei, sich im Internet über entsprechende Beratungsangebote informieren zu können. Auf die Perspektive der potenziell abzutreibenden Kinder war Kommentatorin Ursula Ott nicht eingegangen. Allerdings hatte sie bessere Informiertheit der Frauen mit einer geringeren Zahl von Abtreibungen in Verbindung gebracht.
Idea hatte daraus geschlussfolgert: „Einen so unsäglichen Kommentar wie den von Chefredakteurin Ott hätte es in einem katholischen Medienhaus niemals gegeben – und wenn, wäre es ihr letzter in dieser Funktion gewesen.“
Bollmann kritisierte diese Schlussfolgerung scharf: „Wenn ich den idea-Kommentar richtig verstanden habe, soll die Definition (was christlich und was unchristlich ist) der jeweiligen Amtskirche vorbehalten sein.“ Richtig sei aus seiner Sicht stattdessen: „Wir dürfen unseren Glauben in stetigen Vergewisserungsprozessen und im stetigen Gebet mit Gott entwickeln. Gern eingebettet in die christliche Gemeinschaft (…), gern auch der Amtskirche.“ Und weiter: „Aber nicht durch Dekret oder Befehl der Amtskirche. Nicht durch Einschüchterung und Entzug des beruflichen Amtes.“
Bollmann argumentierte, dass die Forderung nach Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche nicht zwingend als unchristlich betrachtet werden solle. Dies grenzte er klar von Paragraph 218 ab, in dem es um die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen geht. Stattdessen könne die Sorge dafür, dass Frauen im Zweifel die Möglichkeit hätten, sich zu informieren, wo sie gute Beratung bekommen könnten, durchaus im Sinne christlicher Nächstenliebe interpretiert werden. Neben diesem Thema bezog sich Bollmann auf die Dauerbrenner Sterbehilfe, Familiennachzug und Auslandseinsätze.
Beispiel Familiennachzug: Handle derjenige christlicher, der sich als Befürworter des Familiennachzugs für das menschliche Schicksal von Flüchtlingen einsetze, als derjenige, der politisch für eine Obergrenze eintrete?
Bollmann fordert sachliche Fairness unter christlichen Publizisten
„Wir sind in der evangelischen Publizistik verpflichtet zu einer unabhängigen Berichterstattung über das kirchliche Leben und die christliche Lebenswirklichkeit sowie zu einer kritischen Begleitung kirchlicher Vorgänge“, definierte Bollmann die Aufgabe evangelischer Publizistik. Dazu gehöre auch die kritische Auseinandersetzung um Ursula Otts Kommentar. „Natürlich ist es Aufgabe der evangelischen Publizistik, in dieser Frage um den rechten christlichen Weg zu streiten. Aber bitte in Anerkennung der Freiheitsgrade, die der evangelischen Publizistik im Besonderen durch die Definition im publizistischen Gesamtkonzept und der Presse im Allgemeinen durch die grundgesetzlichen Bestimmungen eingeräumt werden. Und (…) in sachlicher Fairness liebevoll einander zugewandt in der gegenseitigen Achtung, dass alle von uns auf Grundlage ihrer Glaubensüberzeugungen handeln, kommunizieren und kommentieren.“
In diesem Zusammenhang sparte Bollmann auch nicht an dem Seitenhieb, warum sich beispielsweise Journalist Peter Hahne „unlängst lautstark für Meinungs- und Pressefreiheit eingesetzt“ habe, als es um die Finanzierung von idea ging, sich aber nicht positioniert habe, „wenn es um die Forderung nach Entlassung der chrismon-Chefredakteurin“ gehe, die noch dazu derzeit systematisch per Computer-Bot die Server der Kirche beschäftige. „Ist dies kein Anschlag auf die Meinungsfreiheit? Ist die dann zu Ende, wenn – wer auch immer – den Stempel ‚unchristlich‘ auf eine veröffentlichte Meinung platziert? Vorsicht! Das könnte jedem von uns, jedem Produkt der evangelischen Publizistik passieren. So kommen wir ganz nah ran an Zensur.“
In der anschließenden Podiumsdiskussion reagierte der ehemalige Leiter von idea, Helmut Matthies, auf Bollmanns Kritik mit Entrüstung: „Wenn die Chefredakteurin des einflussreichsten Organs der EKD in einer fundamentalen Frage der Meinung der EKD widerspricht, dann ist das für mich ein Thema der Amtsführung.“ Und weiter: „Nicht die Kirche entscheidet, was christlich ist und was nicht, sondern Jesus Christus selbst.“
Von: Stefanie Ramsperger