Hillary Clinton soll einem Kinderpornoring angehören, der sich in den Hinterzimmern einer Pizzeria trifft. Papst Franziskus habe Donald Trump im Wahlkampf unterstützt. Meldungen wie diese haben den Präsidentschaftswahlkampf in den USA aufgemischt. Nur: Sie stimmen nicht. Sie sind erfunden, sogenannte Fake News. Sie stammen unter anderem von radikal-parteiischen Blogs und Facebook-Seiten oder fingierten Webseiten, die echten Nachrichtenseiten täuschend ähnlich sehen.
Auch in Deutschland gab es in den vergangenen Monaten offensichtliche Falschmeldungen. Als im Herbst in Freiburg eine Studentin von einem Flüchtling ermordet worden war, kursierte auf Facebook später ein Bild von der Grünen-Politikerin Renate Künast. Dazu ein angebliches Zitat von ihr: „Der traumatisierte junge Flüchtling hat zwar getötet, man muss ihm aber jetzt trotzdem helfen.“ Als Quelle war die Süddeutsche Zeitung angegeben. Verbreitet hat das Zitatbild unter anderem die Facebook-Seite „Widerstand deutscher Patrioten“. Nur: Künast hatte so etwas nie gesagt, die Zeitung hatte es nie geschrieben. Die Politikerin ließ den Eintrag löschen und stellte Strafanzeige.
Die Meldung, dass ein verschwundenes russlanddeutsches Mädchen von Flüchtlingen angeblich entführt und vergewaltigt worden sei, sorgte Anfang vergangenen Jahres für Furore – und diplomatische Spannungen zwischen Russland und Deutschland. Tatsächlich, so fand die Polizei schließlich heraus, hatte das Mädchen die Nacht bei seinem Freund verbracht.
Politiker treibt die Fake-News-Sorge um
Vor der US-Wahl konnten sich Falschmeldungen auf Facebook zum Teil weiter verbreiten als die Nachrichten etablierter Medien. Das haben Redakteure der Nachrichtenplattform Buzzfeed analysiert. Deshalb fürchten jetzt auch deutsche Politiker, Fake News, Hacker und Meinungskampagnen könnten den Bundestagswahlkampf beeinflussen. Zwar ist unklar, wie groß dieser Einfluss auf die Meinungsbildung und die Wahl tatsächlich sein kann. Schließlich gibt es in Deutschland ein sehr vielfältiges Medienangebot.
Aber die Sorge treibt die Politiker um: Es gibt dazu Expertenanhörungen im Bundestag, immer neue Vorschläge für den Kampf gegen Fake News kommen auf den Tisch. Bundesinnenminister Thomas de Maizière schlug im Dezember vor, ein „Abwehrzentrum gegen Desinformation“ einzurichten, meldete das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Das Ministerium dementierte dies auf Anfrage von pro – es gebe keine solchen Pläne.
„Die Behauptung, dass an diesem Tag (Weihnachten; d. Red.) der Sohn Gottes geboren wurde, ist für Christen eine grundlegende Wahrheit. Für Juden und Moslems ist das Fake News. Muss Facebook dann die Weihnachtsgeschichte löschen?“ Mathias Döpfner, Chef des Axel-Springer-Verlags
Zensur gefürchtet
Auf politischen Druck hin verstärkt nun auch Facebook seine Bemühungen, Falschmeldungen zu entlarven. Dafür arbeitet es mit dem Recherchezentrum Correctiv zusammen. Dessen Mitarbeiter sollen Falschmeldungen überprüfen. Kommen sie zu dem Schluss, ein Beitrag ist nicht glaubwürdig, soll er entsprechend gekennzeichnet werden. Kritiker befürchten jedoch eine Zensur unliebsamer Meinungen im Netz und halten die Debatte für politisch aufgebauscht.
„Ein gesetzliches Vorgehen gegen Fake News birgt zu große Risiken für die Meinungs- und Pressefreiheit, aber auch für die Religionsfreiheit“, erklärte etwa Markus Reuter von Netzpolitik.org bei einem Fachgespräch des Bundestages im Januar. Dieses Risiko sei größer als der mögliche Nutzen daraus, Falschmeldungen abzuwehren. Er findet, der Einfluss von Fake News werde überschätzt.
Dem „Postfaktischen“ nicht nachgeben
Der Begriff „Fake News“ ist mittlerweile so strapaziert, dass gar nicht mehr klar zu sein scheint, was damit gemeint ist. Gezielte Falschmeldungen, journalistische Fehlleistungen, politische Propaganda oder Satire landen in der aufgeregten Debatte schnell im selben Topf. Dass Donald Trump bei seiner ersten Pressekonferenz Journalisten des Nachrichtensenders CNN eine Frage verweigerte mit der Begründung „You are Fake News“, machte den Begriff schließlich zur Groteske und zum Kampfbegriff. Die Wahrheit scheint für Mediennutzer irgendwo zwischen „Fake News“ und „Lügenpresse“ zu verschwinden. Was kann ich wem noch glauben?
Wohl der Information, die am besten in mein Weltbild passt – die eine oder andere Falschmeldung kann da nicht schaden. Das zumindest meint der Begriff „postfaktisch“, den die „Gesellschaft für deutsche Sprache“ zum Wort des Jahres 2016 kürte. Er „verweist darauf, dass es in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen heute zunehmend um Emotionen anstelle von Fakten geht. Immer größere Bevölkerungsschichten sind in ihrem Widerwillen gegen ‚die da oben‘ bereit, Tatsachen zu ignorieren und sogar offensichtliche Lügen bereitwillig zu akzeptieren“, erklärte die Jury. Und sogleich erhob sie dieses Kunstwort zum Merkmal für ein ganzes Zeitalter.
Das ist bedenklich und gefährlich. Denn es wirkt wie eine Feststellung, an der sich nichts ändern lasse: „In unserem postfaktischen Zeitalter spielt Wahrheit nun einmal keine Rolle mehr, also müssen wir uns damit arrangieren und das Spiel mitspielen“, schwingt darin mit. Frei nach Pippi Langstrumpf: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt? Nein. Dieser fatalistischen Haltung sollten wir uns nicht hingeben.
Werden Falschmeldungen im Bundestagswahlkampf eine Rolle spielen?
Quelle: Forsa; repräsentative Telefonumfrage unter 510 Deutschen
Eine Chance für die andere Meinung
Das Spiel um die Wahrheit ist nicht neu. Nicht erst seit es Medien gibt, gibt es Falschinformationen, Manipulationen, Halb- oder Unwahrheiten. Neu ist auch die Beobachtung nicht, dass Menschen solche Einflüsse und Informationen eher meiden, die nicht ihren Überzeugungen entsprechen – auch wenn sie wahr sind.
Der katholische Moraltheologe Eberhard Schockenhoff schreibt in seinem Buch „Zur Lüge verdammt?“ über die Mediennutzer, für sie bestehe „die sittliche Verpflichtung, sich als Zeitungsleser, Fernsehzuschauer oder sonstige Mediennutzer um eine möglichst breite und ausgewogene Information zu bemühen, was auch die Pflicht zur vorurteilsfreien Kenntnisnahme anderer Meinungen und Positionen einschließt“. Das gilt im „postfaktischen Zeitalter“ mehr denn je.
Das Besondere an der aktuellen Situation ist, dass sich über das Internet viele Informationen ungeprüft und ungefiltert verbreiten. Und das in einer rasenden Geschwindigkeit. Jeder kann alles schreiben und veröffentlichen. Journalistische Medien arbeiten anders: Sie wenden Regeln und Kriterien an, anhand derer sie Informationen prüfen und hinterfragen. Nur was wirklich belastbar ist, wird öffentlich. Das ist ihr Anspruch.
Journalismus kann sich beweisen
Diese Berufsethik haben sich Journalisten in Deutschland selbst gegeben und im Pressekodex aufgeschrieben: „Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben.“ An diesem Maßstab müssen sich Journalisten messen lassen. Wenn sich Falschmeldungen dann als echte Nachrichten aus- oder sie etablierte Medien als Quelle angeben, ist das besonders perfide.
Doch in Panik müssen wir nicht verfallen. So undurchschaubar das Internet ist, es bietet für jeden – gerade aufgrund seiner unzähligen Informationen – auch eine nie dagewesene Möglichkeit, Dingen auf den Grund zu gehen, Berichte zu überprüfen, vielfältige Informationen zu einem Thema ausfindig zu machen. Und bei aller Kritik an den etablierten Medien: Sie liefern im Zweifel handfeste Informationen. Wenn nicht, so heißt es ebenfalls im Pressekodex: „Beschwerden sind begründet, wenn die Berufsethik verletzt wird.“ Für Journalisten ist die „Krise der Wahrheit“ daher auch eine Chance: Sie können durch gute Arbeit zeigen, was der Unterschied zwischen recherchierten Fakten und erfundenen Fake News ist – und damit bestenfalls das Vertrauen in ihre Zunft stärken.
„Fake News” sind gezielt veröffentlichte Falschinformationen. Wie stehen Sie zu folgenden Aussagen:
Es ist das eine, die Gegenwart als „postfaktisches Zeitalter“ zu charakterisieren. Es ist ein anderes, dieses Etikett so hinzunehmen. Wir dürfen als Medienmacher wie als Mediennutzer nicht nachlassen, nach der Wahrheit zu suchen. Denn wenn uns die Fakten verlorengehen, fehlt die Bezugsgröße für den gesellschaftlichen Diskurs. Wie sollen wir uns verständigen, wie einen Ausgleich schaffen, wenn wir nur noch Behauptungen aufstellen und uns gegenseitig Lüge vorwerfen?
Prüfen und das Gute behalten
Dann wäre unsere Demokratie am Ende. Dann bekämen diejenigen die Macht, die es am besten verstehen, Emotionen zu schüren. Das dürfen wir nicht zulassen. Denn Gefühle sind nicht die Basis für vernünftige und tragfähige Entscheidungen. Und die Geschichte hat gezeigt, wohin erfolgreiche Demagogen Menschen bringen können.
Das hat im Übrigen auch eine geistliche Komponente. Für den Apostel Paulus hat der Glaube selbst weniger mit Gefühl als mit Wissen zu tun. „Prüfet aber alles und das Gute behaltet“, mahnt er (1. Thessalonicher 5,21). Ihm geht es darum, dass mündige Christen sich nicht einfach etwas vorsetzen lassen. Sie sollen den Faktencheck machen: Überprüfen, ob das, was sie hören, mit diesen Wahrheiten des Glaubens, mit dem Evangelium übereinstimmt. Ganz im Sinne dieses Auftrags sind Christen heute auch als mündige Mediennutzer und Streiter für die Wahrheit gefragt. (pro)
Von: jst