Mehr Leser und Zuschauer als je zuvor haben sich über die Medienberichterstattung zum Germanwings-Absturz im März beschwert. Was die Branche daraus lernen kann, wurde am Donnerstag auf einer Tagung in Düsseldorf diskutiert.
Ein Beispiel für oft kritisierte Berichterstattung: Bild-Titel mit Todespilot Andreas Lubitz
Der Geschäftsführer des Deutschen Presserats, Lutz Tillmanns, sagte bei der Tagung am Donnerstag, nach der Germanwings-Tragödie hätte niemand eine gute Figur gemacht – „weder die Journalisten, die trauernde Angehörige fotografierten, noch die sogenannten Experten, die über die Hintergründe spekulierten, noch die Medienkritiker, denn auch deren Reaktion hatte etwas Maßloses“. Darum hätten sich auch mehr Mediennutzer als je zuvor zu einem Ereignis beim Presserat beschwert.
Für einen emotionalen Einstieg in den Abend sorgte der Journalist Mika Baumeister. Er ist ehemaliger Schüler des Gymnasiums in Haltern, von dem eine Schulklasse an Bord der abgestürzten Maschine war. Mit Fotos verdeutlichte er den anwesenden Reportern, wie es auf die trauernden Jugendlichen wirkte, von Kamerteams belagert zu werden. Über 200 Meter hätten Übertragungswagen in dem kleinen Ort geparkt. „Journalisten haben Absperrungen missachtet, unzensiert Gesichter gezeigt und auch Minderjährigen Geld angeboten, wenn sie Statements abgeben“, kritisierte er.
Wenn Journalisten in der Kirche Ruhe suchen
Oliver Auster, Redaktionsleiter von Bild in Nordrhein-Westfalen, erklärte, solches Fehlverhalten habe es aus seinem Hause nicht gegeben. „Wir haben unseren Job gemacht und ein Interesse bedient, das offensichtlich da war. Grenzen haben wir dabei nicht überschritten“, sagte er. Die Berichterstattung über diese und ähnliche Katastrophen lasse keinen Reporter kalt. Im Umgang mit Angehörigen und Hinterblieben seien die Bild-Reporter respektvoll und akzeptierten es, wenn jemand nicht mit der Zeitung sprechen wolle. Zu den zahlreichen Beschwerden über die Berichterstattung merkte Auster an: „Unsere Zugriffsraten auf der Webseite und unsere Auflage haben eine andere Sprache gesprochen als die Empörung in den sozialen Netzwerken.“
Aus einer ähnlichen, und doch anderen Perspektive hat Benjamin Glöckner, der Redaktionsleiter der Haltener Zeitung, die Tage nach dem Absturz erlebt. „Viele unserer Mitarbeiter kannten Angehörige, aber wir wären nie auf die Idee gekommen, diese Kontakte zu nutzen und sie anzusprechen“, erklärte er. Das Team seiner Zeitung sei von den Ereignissen sehr betroffen gewesen, immer wieder hätten Mitarbeiter Abstand gebraucht, seien mal in die Kirche oder nach Hause gefahren um abzuschalten.
An dieser Stelle setzt Petra Tabeling an: Die Journalistin leitet das „Dart-Center für Journalismus und Traumata“, und forderte, der Umgang mit traumatisierten Personen müsse fester Bestandteil in Aus- und Fortbildung der Medienmacher sein. „Wenn man beispielsweise einen traumatisierten Angehörigen fragt, wie es ihm geht, kann man damit eine Re-Traumatisierung auslösen“, erklärte sie. Es sei wichtig, über diese Zusammenhänge informiert zu sein.
„Hysterische Züge“ der Medienkritik
In einer weiteren Podiumsdiskussion wurde erörtert, wie schwierig Spekulationen im Zusammenhang mit der Katastrophe sind. Der Leiter der Unternehmenskommunikation bei Germanwings, Heinz-Joachim Schöttes, bekannte: „Ich zucke heute noch zusammen, wenn ich das Wort ‚Experte‘ höre.“ Zu wild seien die Spekulationen gewesen, die „Expertem im Studio“ auf zahlreichen TV-Sendern verbreitet hätten. „Ich verstehe, dass die elektronischen Medien Sendezeit füllen müssen“, sagte er, „aber manchmal muss man auch einfach sagen: ‚Das sind die Fakten, und mehr haben wir nicht.‘“
Dem widersprach Hans Demmel, Geschäftsführer des Nachrichtensenders n-tv. „Wir können nicht innehalten und zehn Minuten Schwarzbild senden“, erklärte er. „Es ist zulässig, wenn man versucht, potenzielle Fragen zu beantworten, wenn man dazu sagt, dass es Spekulation ist“, sagte er. Man müsse den Zuschauern gerecht werden, die erwarten, schnell auf den neuesten Stand gebracht zu werden. Sorgfalt etwa bei der Auswahl der Experten, die befragt werden, sei selbstverständich und auch im Interesse des Senders. n-tv habe sich entschieden, nach dem Flugzeugabsturz sämtliche Werbeblöcke des Tages zu streichen – eine sechsstellige Summe sei dem Sender so entgangen. „Warum versuchen wir dauernd, die Berichterstattung schlechtzureden?“, fragte Demmel. „Ich habe sie anders empfunden.“ Die Medienkritik zu diesem Fall habe in den Tagen danach hysterische Züge angenommen.
Lutz Tilmanns hingegen lobte die Medienkritik als Zeichen für zivilgesellschaftliches Engagement und bewusstes Zuschauerverhalten. „Die kritische Wahrnehmung ist ein Seismograph für den Journalismus“, sagte er.
In einem Punkt waren sich alle Diskutanten des Abends einig: Den Namen des Co-Piloten Andreas Lubitz zu nennen, war richtig. Weil Lubitz das Flugzeug absichtlich zum Absturz gebracht hatte, sei er eine Person der Zeitgeschichte, hatte der Presserat dazu geurteilt.
Die Veranstaltung wurde gemeinsam vom Deutschen Presserat, dem Grimme-Institut und der Deutschen Journalisten-Union getragen. (pro)
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