Seit knapp zwei Wochen berichtet die Presse über Michael Schumachers schweren Ski-Unfall und dessen Folgen. Die dreiste Vorgehensweise vieler Medienschaffenden könnte den Journalismus langfristig beschädigen, finden Blogger wie Moritz Tschermak von der Seite TopfvollGold. Pro hat mit ihm gesprochen.
Michael Schumachers Fall bewegt die Medien – zu sehr?
„Es ist mir wichtig, dass Sie die Ärzte und das Krankenhaus entlasten, damit diese in Ruhe arbeiten können – vertrauen Sie bitte deren Statements und verlassen Sie die Klinik. Bitte lassen Sie auch unsere Familie in Ruhe.“ Das hat Corinna Schumacher nun verlauten lassen. Ruhiger ist es seitdem nicht geworden. Seit Tagen belagern Journalisten die Klinik, fotografieren Familie und Freunde Schumachers, wie sie das Krankenhaus betreten und erbitten Stellungnahmen. Erst kürzlich soll ein als Priester verkleideter Reporter versucht haben, sich Zugang zur Intensivstation zu verschaffen.„Wir haben auch ganz klar bemerkt, dass einige versuchen, über den Presseraum der Klinik hinauszukommen. In meinen Augen ist das abscheulich“, zitiert Spiegel Online die Schumacher-Managerin Sabine Kehm. In der Universitätsklinik Grenoble sind Sicherheitskräfte positioniert.
Der Journalist und Bildblog-Herausgeber Stefan Niggemeier ärgerte sich am Mittwoch in seinem Blog über das Ausharren der Presse vor dem Krankenhaus: „Nun verstehe ich grundsätzlich nicht, warum vermeintlich seriöse Agenturen Fotos davon machen, die die Angehörigen von Michael Schumacher beim Betreten oder Verlassen des Krankenhauses zeigen. Und ich verstehe nicht, warum vermeintlich seriöse Medien diese Fotos veröffentlichen.“ Er fragt: „Haben wir als Öffentlichkeit wirklich einen Anspruch darauf, den Familienmitgliedern ins Gesicht zu sehen, wenn sie sich auf den Weg machen, ihren im Koma liegenden Angehörigen zu besuchen? Die Frage ist gar nicht so sehr, ob wir das dürfen. Wollen wir das?“ Weiter schreibt er mit Verweis auf die Berichterstattung über Corinna Schumachers Bitte um Ruhe: „Wäre das nicht ein guter Moment zu sagen: Lass uns das nicht auch mit einer Klickstrecke mit Fotos von der nichtinruhegelassenen Familie bestücken, wenigstens diesen einen Artikel nicht? Aber nein.“
„Muss das wirklich alles sein?“
Der medienkritische Blog TopfvollGold bietet eine Übersicht über die bisherige Berichterstattung der Boulevardpresse zu Schumachers Unfall und fragt: „Muss das wirklich alles sein?“ Denn zahlreiche Artikel erwecken den Anschein, als sei der 45-Jährige verstorben. „Bitterer Abschied! Was wird jetzt aus ihren Kindern“ titelt etwa die Zeitschrift Das Neue. Moritz Tschermak ist einer der Blogger von TopfvollGold. Die Regenbogenpresse, so sagt er, sei im Gegensatz zu anderen Medien nicht in Grenoble vor Ort. Die Redakteure arbeiteten vom Schreibtisch aus. „Die gehören also nicht zu jenen, die das Krankenhaus belagern“, sagt er. Dafür fänden sich in den Heften haltlose Mutmaßungen über Schumachers Leben. „Da führt der Unfall die Familie auf einmal wieder zusammen, weil es Streit zwischen Familienmitgliedern gab. Oder es wird gemutmaßt, Schumacher habe seinen Unfall vorausgeahnt. Das ist schon sehr seltsam“, kritisiert Tschermak. Er erklärt sich das mit dem Konkurrenzdruck, unter dem gerade die Regenbogenpresse stehe: „Stellen Sie sich mal vor ein Supermarktregal, dann sehen Sie, wie viele es von denen gibt. Deshalb werden Geschichten in unzulässiger Weise überspitzt und erfunden.“
Der Fall Schumacher ist nicht der einzige, bei dem Pressemitarbeiter die Privatsphäre erkrankter Prominenter verletzt haben. Als der „Wetten, dass..?“-Kandidat Samuel Koch 2010 vor laufenden Kameras schwer verunglückte und anschließend im Krankenhaus lag, sollen Journalisten zum Beispiel Mikrofone in Blumensträußen versteckt haben, die als Genesungsgruß überbracht wurden. Das berichtet der heute Querschnittsgelähmte in seinem Buch „Zwei Leben“. Tschermak erinnert sich an den ebenfalls beim Skifahren verunglückten Prinzen Friso. „Auch da wurde im Boulevard ständig sein Gesundheitszustand hoch und runter geschrieben. Manche haben behauptet, er sei aufgewacht, obwohl das nicht stimmte. Einmal wurde seine Mutter Beatrix in Trauerkleidung abgebildet, sodass man denken musste, er sei gestorben. Da wird mit dem Gesundheitszustand von Menschen gespielt. Das geht nicht.“
„Das tut dem Journalismus nicht gut“
Niggemeier kritisierte jüngst, dass sogar seriöse Presseagenturen am laufenden Band Eilmeldungen zum Schumacher-Unfall produzierten, selbst dann, wenn es eigentlich nichts zu berichten gebe. Das sieht auch Tschermak kritisch. Zwar ist er überzeugt davon, dass über den Fall berichtet werden kann. „Aber wenn sogar die Tagesschau darüber nachdenkt, eine Meldung zu machen, die besagt, dass sich am Gesundheitszustand von Michael Schumacher nichts verändert hat, muss man sich schon wundern. Das tut dem Journalismus nicht gut.“
Der Pressekodex fordert bei der Berichterstattung über Prominente “Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen”. Tschermak findet: „Es wäre viel gewonnen, wenn die Journalisten ihre eigene Arbeit mehr hinterfragen würden.“ (pro)
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