„Viele Beschuldigte sind überrascht von den Konsequenzen“

Seit Januar 2020 hat die bayerische Justiz den ersten Hate-Speech-Beauftragten in Deutschland. Pro hat bei ihm nachgefragt, wie er den Hass im Internet wahrnimmt und welche Zwischenbilanz Klaus-Dieter Hartleb nach neun Monaten im Amt zieht.
Von PRO
Kümmert sich seit dem 1. Januar um Hate Speech im Netz: der bayerische Hate Speech-Beauftragte Klaus-Dieter Hartleb

pro: Warum hat das Land Bayern einen Hate Speech-Beauftragten ernannt?

Klaus-Dieter Hartleb: Die offizielle Bezeichnung ist Hate-Speech-Beauftragter der bayerischen Justiz. Ziel meiner Ernennung war es, die Strukturen in diesem Bereich zu ertüchtigen. Seit 2015 und der Flüchtlingskrise gab es eine massive Zunahme von Hass im Netz. Die Bundesländer haben dann unterschiedlich reagiert und neue Strukturen geschaffen, um dem zu begegnen.

Wie sieht das konkret aus?

Seit 1. Januar 2020 haben wir bei den 22 bayerischen Staatsanwaltschaften Sonderdezernate geschaffen, die sich ausschließlich mit Hate Speech befassen. Insgesamt ist die Rechtslage kompliziert, z.B. in Bezug auf Volksverhetzung und Beleidigung. Die Grenze, welche Äußerung noch durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist, ist oft nicht leicht zu ziehen. Dafür braucht es viel Spezialwissen, ebenso für die Täterermittlung im Internet. Meine Aufgabe ist es, die Sonderdezernate zu koordinieren und für eine landesweit einheitliche Rechtsanwendung zu sorgen. Besonders gewichtige Ermittlungsverfahren im Bereich Hate-Speech führe ich selbst.

Was sind weitere Schwerpunkte Ihrer Arbeit?

Wir haben ein Online-Verfahren entwickelt, über das Kommunalpolitiker digitale Angriffe gegen sich anzeigen können. Die Zahlen belegen, dass die Angriffe gegen Kommunalpolitiker zunehmen, sowohl was digitale Beleidigungen als auch analoge Straftaten betrifft. Ein weiteres Projekt betrifft den Hass auf den Kommentarseiten von Medien. Hier haben sich im Rahmen der Initiative „Justiz und Medien – konsequent gegen Hass“ über 110 bayerische Medienunternehmen zusammengeschlossen, die Hassposts einfach, nämlich online, uns als Strafverfolgungsbehörden melden können.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit der Politik aus?

Wir haben natürlich eine Berichtspflicht gegenüber dem Justizministerium sowohl was herausgehobene Verfahren als auch konkrete Projekte betrifft.

Wie sieht Ihre typische Arbeitswoche aus?

Die gibt es natürlich nicht. Ein Schwerpunkt meiner Arbeit ist aber das Führen eigener Ermittlungsverfahren und die Koordination der Sonderdezernate. Im Juli gab es eine bayernweite Durchsuchung, an der ich mitgewirkt habe. Meine Tätigkeit erregt auch ein öffentliches Interesse. Von daher ist damit viel Presse- und Medienarbeit verbunden. Außerdem halte ich Vorträge bei verschiedenen Behörden bzw. Institutionen.

Welche Fälle von Hate Speech im Netz sind am häufigsten?

In ca. 80 Prozent der Fälle handelt es sich um Volksverhetzung. Die übrigen Straftaten sind z.B. Bedrohungsdelikte, Beleidigungen, Verleumdungen oder üble Nachrede. Ein Großteil der Straftaten sind dem rechten oder rechtsextremistischen Milieu zuzuordnen.

Mit welchen Konsequenzen müssen die Menschen rechnen, die Hate Speech verbreiten?

Das kann man natürlich pauschal nicht sagen. Sobald ein Straftatbestand erfüllt ist, müssen die Menschen mit Konsequenzen rechnen. Wann dies der Fall ist, lässt sich aber nicht pauschal sagen. Es existiert eine dezidierte Einzelfall-Rechtsprechung. Wer nicht vorbestraft ist, muss z.B. bei der Volksverhetzung mit einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen, also einer Größenordnung von vier Monatsnettogehältern rechnen. Zusätzlich gibt es einen Eintrag ins Führungszeugnis. Mit Vorstrafen kommen wir sogar schon in den Bereich von Vollzugsstrafen.

Was sind die Ziele Ihrer Arbeit: Geht es eher um Prävention oder eher um Reaktion?

Bei der Strafverfolgung geht es immer um den repressiven Bereich. Präventiv tätig wird die Polizei.

Erwarten Sie eine weitere Verrohung der Sprache im Internet?

Hate Speech ist gemessen an meiner 20-jährigen Tätigkeit als Richter und Staatsanwalt ein relativ neues Phänomen. Ich stelle definitiv eine Verrohung der Sprache im Internet fest. Ich habe aber auch die Hoffnung, dass das irgendwann abklingt, weil die Strafen für die Täter eine abschreckende Wirkung haben. In meiner täglichen Arbeit merke ich, dass viele der Beschuldigten überrascht sind von den Konsequenzen. Die Vorfälle in der Reichsbürger-Szene konnten wir auch durch konsequente Strafverfolgung eindämmen.

Wie fällt die erste Zwischenbilanz Ihrer Arbeit aus?

Wir haben binnen kurzer Zeit zahlreiche schlagkräftige Strukturen im Kampf gegen Hate-Speech geschaffen. Auch die Initiativen für Kommunalpolitiker und Medien sind gut etabliert. Eine Aufgabe für die Zukunft muss es sein, die große Kluft zwischen der tatsächlichen Anzahl der Hate-Speech-Straftaten und der eingeleiteten Ermittlungsverfahren zu schließen. Hier hoffe ich auf die Initiative des Bundesgesetzgebers, der eine Anzeigenpflicht bei Hasskommentaren in den sozialen Netzwerken vorsieht. Es wäre kontraproduktiv, wenn der Täter das Gefühl hat, dass er nicht belangt werden kann und die Opfer denken, dass den Tätern nichts passiert.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Johannes Blöcher-Weil

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