„Ethiker an Entwicklung der Corona-App beteiligen!“

Eine App für Smartphones soll in Kürze Bürgern dabei helfen, festzustellen, ob sie Kontakt zu Menschen hatten, die mit dem Coronavirus infiziert sind. Bei der Entwicklung der App sollten Ethiker und Juristen beteiligt sein, um das demokratische Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu wahren, fordert der Wirtschaftsethiker Christoph Lütge im Gespräch mit pro.
Von PRO
Per Handy sollen Nutzer erfahren, ob sie Kontakt zu mit Corona infizierten Menschen hatten. Der Start der App verzögert sich noch.

Eine „Corona-App“ ist in Deutschland und anderen Ländern seit Wochen im Gespräch. Es geht darum, Menschen schnell zu informieren, wenn sie Kontakt zu Infizierten hatten. Eine solche App für Smartphones werde derzeit vom Robert Koch-Institut getestet, sagte am Mittwoch ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums. Ministeriumssprecher Hanno Kautz betonte laut der Deutschen Presse-Agentur (dpa), die Nutzung einer Tracing-App werde eine freiwillige Entscheidung sein. Forscher des Projektes PEPP-PT sagten, eine solche App sollte eigentlich schon bald nach Ostern zur Verfügung stehen. Doch die Veröffentlichung verzögert sich. Apple und Google hatten über Ostern ebenfalls ein Konzept präsentiert, mit dem eine Tracing-App mit Hilfe von Bluetooth-Technologie gebaut werden kann.

pro hat mit Christoph Lütge, Professor für Wirtschaftsethik an der Technischen Universität München (TUM) und Leiter des Instituts für Ethik in der Künstlichen Intelligenz, über die ethischen Risiken einer solchen App gesprochen.

Christoph Lütge ist Professor für Wirtschaftsethik und Leiter des Instituts für Ethik in der KI an der Technischen Universität München (TUM) Foto: Andreas Heddergott / TUM
Christoph Lütge ist Professor für Wirtschaftsethik und Leiter des Instituts für Ethik in der KI an der Technischen Universität München (TUM)

pro: Herr Lütge, wie bewerten Sie die Verwendung von Tracing-Apps in der Zeit der Coronakrise?

Christoph Lütge: Ich halte im Grundsatz die Verwendung solcher Apps für denkbar und hilfreich. Allerdings sollten sowohl an ihrer Entwicklung als auch an der Begleitung ihres Einsatzes Ethiker und Juristen beteiligt sein. Es muss klar sein, dass bei der Verwendung dieser Apps das fundamentale demokratische Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Eine Lockerung von Restriktionen zu eng an die Verwendung von Apps zu koppeln, halte ich für problematisch.

Sehen Sie es kritisch, dass die Unternehmen Apple und Google involviert sein sollen?

Es sollten alle relevanten Akteure beteiligt werden, gerade solche, die das entsprechende Knowhow haben. Wenn andere diese Apps entwickeln können, ist das natürlich wünschenswert. Allerdings muss auch hier der Zeitfaktor berücksichtigt werden, denn zu lange können wir nicht warten.

Können die Tracing-Apps helfen, die Epidemie einzudämmen?

Bei entsprechender Ausgestaltung kann das sicherlich helfen. Aber Eindämmung kann vieles bedeuten, da geht es nicht nur um die Vermeidung von Ansteckungen, sondern um viele Faktoren, die mit dem Gesundheitssystem insgesamt zu tun haben.

Wie bewerten Sie die Gefahr, dass die Daten über die Nutzer der App gesammelt werden?

Das kommt sehr auf die Ausgestaltung an. Diese muss transparent sein und von Ethikern und Juristen begleitet werden. Für eine Big-Data-App müssen nun einmal auch große Datenmengen gesammelt werden, sonst ist sie sinnlos. Aber es kommt darauf an, welche Daten gesammelt und wie sie verwendet werden.

Haben Sie Sorge, dass ein Staat diese Technik auch nach einem Ende der Krise weiter ausnutzen könnte?

Man kann das nicht völlig von der Hand weisen. Die Gefahr halte ich durchaus für real. Daher müssen laufend die Verhältnismäßigkeit und der Sinn solcher Apps von unabhängigen Fachleuten – und auch nicht nur von solchen mit technischen Kenntnissen – überprüft werden.

Was ist der Zweck des „Global AI Ethics Consortiums“, das Sie ins Leben gerufen haben?

Das „Global AI Ethics Consortium“ soll den Einsatz von künstlicher Intelligenz mit ethischen Richtlinien, also Responsible AI, im Kampf gegen Covid-19 und andere Epidemien voranbringen. Diese Themen sind nicht nur nationale, sondern globale Herausforderungen, und deswegen haben wir uns mit Kollegen von derzeit acht Partnerinstitutionen weltweit zusammengetan, darunter etwa die New York University, Cambridge University, die Universität Tokio und die Sorbonne. Wir werden demnächst gemeinsame Forschungsprojekte – mit konkreten, in einem überschaubaren Zeitraum erreichbaren Zielen – aufsetzen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Jörn Schumacher

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