Journalisten müssen sich in Sozialen Medien grobe Umgangsformen gefallen lassen. Das schreiben die Kommunikationswissenschaflerinnen Diana Rieger und Anna Sophie Kümpel von der Ludwig-Maximilians-Universität München in einem Literaturüberblick zum „Wandel der Sprach- und Debattenkultur in sozialen Medien„, den sie im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung zusammengestellt haben. Soziale Medien sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Sie eröffnen die Möglichkeit, an Debatten teilzunehmen und sich zu Wort zu melden. Aber es gibt auch eine Kehrseite der Medaille. „Viele Online-Diskussionen sind von Inzivilität durchzogen und die Konfrontation mit Hass, Beleidigungen und Pöbeleien scheint mehr Regel denn Ausnahme zu sein“, schreiben die Wissenschaftler.
Mit „Inzivilität“ ist dabei die Kommunikationsform gemeint, „die interpersonale oder deliberative Normen überschreitet und etwa in Form von aggressiven Nutzerkommentaren, Shitstorms, Flaming, Trolling oder Hassrede in (teil-)öffentlich zugänglichen Diskussionen“ beobachtet werden kann.
Betroffene ziehen sich zurück
Die Forschung dazu zeige, dass solche inzivile Kommunikation insbesondere die Wahrnehmung von Medien und journalistischen Angeboten beeinflusse. Die Wirkungen seien bisherigen Befunden zufolge „tatsächlich in aller Regel negativ“, schreiben die Wissenschaftlerinnen. Wer hetzerische und aggressive Kommentare lese, beurteile etwa die kommentierten Inhalte, beispielsweise einen Nachrichtenbeitrag, schlechter und habe „verzerrte Vorstellungen über die Relevanz der behandelten Themen oder die Glaubwürdigkeit journalistischer Angebote“.
Rieger und Kümpel konstatieren nach Bewertung der aktuellen Literatur zum Thema, „dass Inzivilität zudem negative Emotionen evozieren und aggressive Gedanken auslösen kann“. Das beeinflusse das eigene Kommunikationsverhalten negativ. Bei Diskussionen über journalistische Inhalte würden vor allem Journalisten verbal angegriffen. Das könne sich nicht nur auf die hinter den Artikeln stehenden Personen, „sondern auch auf deren redaktionelle Arbeit“ auswirken. Darüber hinaus würden Frauen, religiöse und ethnische Minderheiten in Online-Medien häufig mit Hass und Inzivilität konfrontiert. Dies führe neben „emotionalen Reaktionen“ auch dazu, dass „sich die Betroffenen teilweise oder gar vollständig aus öffentlichen Diskursen zurückziehen“.
Ein Grund: Anonymität
Als Gründe für den rüden Umgang in sozialen Medien nennen die Wissenschaftlerinnen „die gesteigerte Sichtbarkeit und öffentliche Zugänglichkeit von Debatten und Diskursen“. Damit verbunden sei der Umstand, dass Internetnutzer „schlichtweg mehr Gelegenheiten haben, gesellschaftliche Kommunikation wahrzunehmen“. Facebook und Twitter hätten die Weiterverbreitung von „Inhalten und Diskussionen drastisch erleichtert“, schreiben Rieger und Kümpel. Die „Empfehlungsalgorithmen“ der Dienste trügen dazu bei, „dass sich vor allem emotional aufgeladene und polarisierende Beiträge weit und schnell verbreiten“.
Studien zu veränderten Kommunikationsbedingungen in sozialen Online-Medien deuteten darauf hin, dass Anonymität, die Unsichtbarkeit der Diskussionsteilnehmer und das Fehlen von „regulativen sozialen Hinweisreizen Hemmungen abbauen und so zu einem Mehr an inziviler Kommunikation führen können“. Die Beobachtung eines rüden Umgangstons bei anderen steigere die Wahrscheinlichkeit, sich selbst entsprechender Ausdrucksformen zu bedienen.
Von: Norbert Schäfer