Der Einfluss von Hate Speech dürfe nicht unterschätzt werden, mahnte der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, bei der Tagung „#NetzOhneHass“. Unter seinen Zuhörern: Netzaktivisten, Pädagogen, Jugendmitarbeiter. Die Auseinandersetzung damit gehe alle an. Dass diese mitunter hochkomplex ist, zeigte Ulf Burmeyer auf, Jurist und Mitarbeiter der „Gesellschaft für Freiheitsrechte“. „Äußerungen im Netz zwischen Meinungsfreiheit und Strafrecht“, hatte er seinen Vortrag genannt, in dem er das Spannungsfeld zwischen diesen beiden Polen beschrieb.
Meinungsfreiheit sei gerade für die da, an denen man sich reibe, erklärte Burmeyer. Sie sei eines der zentralen Grundrechte dafür, dass eine Demokratie funktioniere. „Was ist eigentlich eine Meinung?“, fragte Burmeyer weiter. „Falsche Meinungen“ gebe es nicht, eine Meinung habe letztlich eine subjektive Komponente und sei keine Tatsache, die man beweisen könne. Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fielen somit „Werturteile oder Tatsachenbehauptungen, soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen.“ Nicht geschützt seien dagegen reine Tatsachenbehauptungen, die nachweislich falsch seien, wie zum Beispiel die Leugnung des Holocaust.
Nun habe der Gesetzgeber im Strafrecht Gesetze geschaffen, die der Meinungsfreiheit Grenzen setzten. Verleumdungen, Beleidigungen, Bedrohungen oder Volksverhetzung seien demnach strafbar. Dazu gebe es eine sehr komplexe Rechtsprechung, sagte Burmeyer. „Die Strafgesetze müssen so ausgelegt werden, dass die Meinungsfreiheit möglichst wirksam ist.“
Gesetz gegen Hassrede: revolutionär oder unnütz?
Der Jurist äußerte sich auch zum geplanten Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Er halte besonders den Aspekt für sinnvoll, dass soziale Netzwerke dann eine „empfangsberechtigte Stelle“ einrichten müssten, an die sich Strafverfolgungsbehörden wenden könnten. Abwimmelungstaktiken hätten damit ein Ende.
„Staatsanwaltschaft und Polizei bekommen einen Ansprechpartner in Deutschland, den sie anfunken und fragen können: ‚Dieses Statement auf Facebook ist in Deutschland strafbar. Von welcher IP-Adresse kam das, was hat derjenige an Daten in seinem Facebook-Profil?‘ Und darauf muss Facebook innerhalb von 48 Stunden antworten. Das ist aus meiner Sicht eine echte Revolution.“ Bei dem Rest des Gesetzes sei er dagegen skeptisch, ob es überhaupt etwas bringe, gestand Burmeyer.
Angst ist Nährboden für Hass
Um die Psychologie des Hasses ging es in der Keynote von Dorothee Scholz. Angst sei der Nährboden für Hass, stellte die Psychologin fest. „Hass ist nichts, was vom Himmel fällt. Hass ist eine Bewältigungsstrategie, hauptsächlich für das Gefühl, bedroht zu sein.“ Die Aggression in Hate-Postings habe meist nichts mit der adressierten Person zu tun, sondern mehr damit, was für ein „Film“ in dem Sender der Nachricht ablaufe. Der andere werde nicht mehr als Mensch wahrgenommen, sondern sei Projektionsfläche. Bei Betroffenen richte Hate Speech aber großen Schaden an. „Hate Speech ist psychische Gewalt und damit mindestens so schädlich wie körperliche Gewalt.“
Scholz verwies vor dem Hintergrund der Hirnforschung darauf, dass das limbische System im Gehirn darauf ausgerichtet sei, zu schauen, von wo Gefahr drohe. Einmal gefasste Meinungen seien offenbar schwer zu ändern. Auch neutrale Informationen würden entsprechend umgedeutet und gegenteilige Informationen riefen Ärger hervor. „Das geht in Versuchen sogar so weit: Wenn man aufgelöst hat, dass eine gegebene Information falsch war, blieb der Einfluss dieser Information dennoch erhalten.“ Die Psychologin wünschte sich von daher mehr „psychische Medienkompetenz“, um zu wissen, wie Angstverarbeitung funktioniere.
Scholz ermutigte zur konstruktiven Gegenrede im Netz. Diese sei schon allein deshalb wichtig, um zu zeigen, dass es eine oft unsichtbare Masse gebe, die anderer Meinung sei. Denn oft entstehe ein verzerrtes Bild: „Die lautesten Schreier, drei bis fünf Prozent, hauen 50 Prozent des Meinungscontents raus.“ Aber es sei müßig, mit diesen Absendern auf der inhaltlichen Ebene zu argumentieren. Vielmehr solle man die Motive anschauen. „Wo hat der Hater Angst, dass ihm etwas weggenommen wird?“ Das könne man kausal entkoppeln und auf das Grundproblem eingehen. „Kann man den Leuten klarmachen: ‚Wenn du dich damit beschäftigst, dann hast du eine Aussicht, dass deine Interessen erfüllt werden, im Gegensatz zu diesem Stellvertreterschlachtfeld, was du hier bespielst‘ – dann hören doch einige zu.“ (pro)
Von: Christina Bachmann