„Was mittlerweile viele Twitter- und Facebooknutzer betreiben, fällt in die Abteilung Political Profiling“, schreibt Jochen Bittner, verantwortlich für die Meinungsseiten der Politik bei der Wochenzeitung Die Zeit, in seiner Kolumne unter der Überschrift „Unser größeres Problem ist Political Profiling“. Das politische Treiben in den Sozialen Netzwerken kommentiert er mit den Worten: „Ein oberflächlicher Blick genügt und der Andere ist einsortiert und des Platzes verwiesen.“
Es gebe im Grunde nur zwei Kategorien, in die die Nutzer schnell einsortiert würden: Rassist oder Linksversiffter, stellt Bittner fest und kritisiert dies als „bedrohliche Entwicklung“. „Die Ungerechtigkeiten, die sie sich mit 140 oft hingerotzten Zeichen an die Köpfe werfen, erzeugen Wut – und diese Wut erzeugt die nächste Ungerechtigkeit. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, droht diesem Land eine Spaltung, bei der am Ende jeder verliert.“
Im Netz treffen Stadt und Land aufeinander
Deutschland könne dagegen viel aus dem lernen, was im vergangenen Jahr in den USA passiert ist, „damit dieses Land im Wahlkampfjahr 2017 nicht in eine ähnliche Freund-Feind-Polarisierung abgleitet“.
Bittner argwöhnt: „Vielleicht ist dieses Land schon gespaltener, als wir denken.“ Er sieht den Graben im Land vor allem zwischen der Stadt- und der Landbevölkerung. Während die beiden Bevölkerungsgruppen nebeneinander her lebten, träfen sie nun im Internet aufeinander, und dabei krache es.
Dieselben Leute, die die pauschalierende Bezeichnung „Nafri“ für Nordafrikaner kritisieren, hätten kein Problem damit, AfD-Wähler pauschal als „Nazis“ zu bezeichnen. Auf der anderen Seite hätten dieselben Leute, denen es angeblich um eine alternative Politik für Deutschland geht, in Wahrheit kaum Diskursalternativen zu bieten, sondern nur „Aufregung statt Aufklärung“.
Bittner beobachtet: „Für beide Seiten ist Twitter leider das optimale Medium, um ihre Feindbilder immer wieder bestätigt zu sehen.“ Denn: „Gefühl klickt da besser als Faktum. Persönlicher Angriff erregt da mehr als sachliche Auseinandersetzung.“ Der Autor ist überzeugt: „Die größte Bedrohung für die Meinungsfreiheit geht heute nicht mehr vom Staat aus, sondern von der Angst vorm digitalen Schnellgericht und seinem Pranger.“ (pro)
Von: js