Steven Spielberg beschäftigt sich in einer Dokumentation mit Facetten des Hasses. „Warum wir hassen“ heißt die sechsteilige Serie, die ab 10. November bei ZDF info und am 12. November als zusammenfassende Dokumentation im ZDF läuft. In den Beiträgen kommen Täter und Opfer von Hass zu Wort, aber auch Wissenschaftler mit neuesten Erkenntnissen der Verhaltens- und Sozialforschung.
Die Folgen fragen danach, woher Hass kommt, wie er sich verbreitet und eigedämmt werden kann. Sie nehmen jeweils einen speziellen Aspekt in den Blick. Die 45-minütigen Beiträge beschäftigen sich mit dem evolutionären Ursprung von Hass, der Wahrnehmung von anderen als Fremden, der Wirkung von Propaganda, dem Abgleiten in Extremismus, der Eskalation bis zum Völkermord und schließlich der Hoffnung auf ein besseres Selbst.
Vor allem die erste Folge verdeutlicht, wie schwer eine hasserfüllte Atmosphäre zu ändern ist. Dies werde dadurch beeinflusst, dass Menschen nach Status und Dominanz strebten. Zudem wird dem Zuschauer deutlich, dass Moral nicht durch Kultur, Erziehung und Lernen geprägt ist, sondern weitgehend das Ergebnis biologischer Entwicklung ist. Eine unfaire Behandlung könne schnell die dunkle Seite von Menschen hervorrufen: „Empfundenes Unrecht kann Hass provozieren.“ Amokschützen zum Beispiel sammelten Ungerechtigkeiten und horteten sie über Monate, bis sie den entwickelten und aufgestauten Hass mit tödlicher Gewalt herausließen.
Menschen können verlernen zu hassen
Als Beispiel wird die amerikanische Westboro Baptist Church genannt. Ihre Gemeindemitglieder erzeugten Hass, indem sie in öffentlichkeitswirksamen Aktionen bestimmte Personengruppen wie Juden und Homosexuelle ausgrenzten. Megan Phelps-Roper, Enkelin des Gründers, kommt in der Dokumentation zu Wort. Ihre familiäre Prägung habe sie die Menschen hassen lassen – ohne irgendwelche Gründe dafür zu haben. Jetzt hat sie die Kirche verlassen und die Opfer ihres Hasses um Verzeihung gebeten. Am Ende des ersten Teils steht die These: „Wir können verlernen zu hassen!“ Das menschliche Gehirn könne durchaus Recht und Unrecht unterscheiden und müsse nicht zwangsläufig Fremdes als etwas Feindliches wahrnehmen.
In der Folge „Fremde“ erklärt Psychologin Laurie Santos die Zusammenhänge, warum Menschen polarisieren und was sie dazu bringt, Angehörige anderer Gruppen zu hassen. Wissenschaftliche Untersuchungen hätten gezeigt, dass eine extreme Polarisierung zwischen zwei Lagern es nahezu unmöglich mache, auf der Basis von Fakten mit einander zu reden. Jede Seite sehe sich als Opfer der anderen – seien es verfeindete Staaten oder Sportvereine.
Eine Gruppe bestimme das menschliche Verhalten stärker als das eigene Erleben. Dies veranschaulicht die Dokumentation anhand sportlicher Rivalität. Ein englischer Fußballfan bekennt, dass die Mannschaft seine Religion ist. Das Reden über Fußball sei für ihn, wie für andere das Beten. Die Doku macht deutlich: Jede Seite sieht die Welt durch ihre Brille. Der Wunsch, prinzipiell positiv vor anderen Menschen dazustehen, mache darüber hinaus empfänglich für Fake News, Propaganda und Hetze und vertiefe Gräben.
Es entsteht ein Wettstreit, wer mehr Opfer ist
In den sozialen Netzwerke sorgten Algorithmen dafür, dass Menschen in der realen Welt aggressiver reagieren. Menschen sähen in ihren Filterblasen nur das Unrecht, dass ihnen selbst angetan wird, aber nicht das, was anderen angetan wird. Es geht aus Sicht des Neurowissenschaftlers Emilie Bruneau dabei um den Wettstreit, wer mehr Opfer sei. Als Beispiel wird der bis heute nicht gelöste „tragisch wie komplexe“ Konflikt in Israel genannt.
Das Konzept der Sendung sieht es vor, dass in jeder Folge wissenschaftliche Experten zu Wort kommen. In der Folge „Extremismus“ etwa erklärt Konfliktforscherin Sasha Havlicek, wie Rassismus, religiöser Eifer oder nationalistischer Wahn entstehen können. Sie verdeutlicht, was es Menschen bringt, sich hasserfüllten Ideologien anzuschließen und gegen Andersdenkende mit Gewalt vorzugehen. Dabei hebt sie auch die Bedeutung der Sprache bei populistischen Politikern hervor. Die Folge „Völkermord“ hat stärker die Rolle von Anführern, Mittätern und Mitläufern bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Blick. Völkermord sei kein „spontanes Phänomen, sondern organisiert“ und brauche blinden Gehorsam. Ein Zitat über Völkermord bleibt besonders haften: „Wenn wir uns daran beteiligen, vernichten wir nicht nur die Opfer, sondern zerstören unsere eigene Menschlichkeit.“
Es kann gelingen das „Wir gegen die“ zu überwinden
Die Dokumentation zeigt viele Facetten des Hasses. Gut, dass es die letzte Folge gibt: Darin verdeutlicht Bruneau Strategien, um die Fähigkeit zu kritischem Denken, Dialog und Empathie zu stärken und Hass zu widerstehen. Er stellt Beispiele der Versöhnung von ehemaligen Todfeinden vor, die den Kreislauf aus Hass und Gewalt aufgebrochen haben. Es ist ein versöhnliches Ende, das aufzeigt, wie es gelingen kann, das „Wir gegen die“ zu überwinden.
Genau diese Bandbreite, die Spielberg und Gibney abbilden, macht die Dokumentation sehenswert. Sie thematisieren Hass-Mails und Mobbing genauso wie ethnisch-religiöse Konflikte. Die zahlreichen Wissenschaftler, die ihre Thesen verständlich erläutern, wie auch die Aussagen von Tätern und Opfern verschaffen dem Zuschauer einen guten Überblick über die Auswüchse von Hass. Die Dokumentation fordert den Zuschauer auf, sein Umfeld für Hass zu sensibiliseren und dagegen zu mobiliseren. Und ganz nebenbei helfen die Beiträge dabei, so manche Konflikte um populistsche Hetze im Netz oder das Verhalten gegenüber Fremdem besser zu verstehen. Von daher machen die Beiträge nicht nur betroffen, sondern fordern den Zuschauer auch zum eigenen Tun heraus.
Von: Johannes Blöcher-Weil
Steven Spielberg/Alex Gibney: „Warum wir hassen“. Die sechs Folgen sind am 10. November 20.15 Uhr und 21 Uhr, am 11., 12., 13. und 18. November jeweils um 20.15 Uhr auf ZDFinfo zu sehen. Das ZDF-Hauptprogramm zeigt die daraus zusammengefasste Doku am 12. November um 20.15 Uhr.