Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR sind viele Menschen vollkommen gottlos aufgewachsen. Das prägt die Region bis heute. Im Rahmen der ARD-Themenwoche „Woran glaubst Du?“ zeigt die ARD am Montag um 22.45 Uhr die 45-minütige Dokumentation „Land ohne Glauben?“. Zu Wort kommen darin Pfarrer, bekennende Atheisten und Menschen, die die Theologen von morgen ausbilden.
Die dargestellten Zahlen belegen: 1950 waren nur fünf Prozent der Bevölkerung konfessionslos. Diese Zahl hat sich schon bis 1961 verzehnfacht. Mittlerweile sind es im Ostdeutschland 80 Prozent, während es im Westen mit 25 Prozent jeder Vierte ist. „Konfessionslos ist das neue Normal. Die Menschen wachsen nicht damit auf und vermisst es auch nicht“, heißt es in der ARD-Reportage über das Christentum.
Arbeit mit Kindern und Familien ein Schlüssel
Die Dokumentation begleitet unter anderem die Journalistin Anja Köhler. In ihrer Familie waren Kirche und Religion kein Thema. Mit der DDR-Ideologie habe sie sich nicht auseinandergesetzt. Ein Wertgefüge habe es gegeben, aber dieses nicht zwangsläufig mit Religion zu tun gehabt. „Das Grundwissen über die Religion ist vorhanden, aber es bewirkt bei mir emotional nichts.“
Dem Theologieprofessor Gert Pickel ist es wichtig, seinen Studenten zu vermitteln, dass ganz viele Menschen ohne wirkliches Verständnis dafür aufwachsen, was in der Kirche vor sich geht. Horst Groschopp ist Atheist und Kulturwissenschaftler. Er fordert einen stärkeren Einsatz der Politik für die Konfessionsfreien. Einem angeblichen Wiederaufleben der Religion widersprächen die soziologischen Erkenntnisse.
Der Beitrag verdeutlicht: Wer in Ostdeutschland zur Kirche geht, gehört wirklich dazu. Während jeder zweite Westdeutsche an Gott glaubt, sind es im Osten 23 Prozent. Die Pastorin Esther Fauß wünscht sich in diesem Prozess viel Geduld. In ihrer Heimatregion habe der Glaube noch selbstverständlich zum Leben gehört. Die Arbeit mit Kindern und Familien sieht sie als Schlüssel zu den Menschen. Die Kirche sei schließlich das einzige Gebäude, das in den leeren Ortskernen noch offen ist. Kirche könne Türen aufmachen und verbinden.
Freiraum für neue Ideen und Partnerschaften
Vorgestellt wird auch die konfessionelle Norbertus-Schule in Magdeburg. Längst nicht alle ihre Schüler und Lehrer seien konfessionell gebunden. Die Schule bietet als Alternative zu Jugendweihe und Konfirmation eine Lebenswende-Feier an. Dieses Ritual soll konfessionslose Familien und ihre Kinder sensibilisieren, aber aus Sicht der Lehrer niemanden missionieren und nichts aufsetzen.
Die Reportage lenkt auch einen Blick auf die leerstehenden Kirchen. In Naumburg werde sie einmal im Monat nachmittags zum Kaffeetrinken geöffnet. Pfarrerin Petra Karrasch und die – oft nicht-konfessionellen Mitglieder des Kirchenbauvereins – spüren ein neues Gefühl für Verantwortung und Gemeinschaft. Die Kirche werde allmählich von der gesamten nicht-konfessionellen Umwelt als Dorfzentrum und offenes Haus anerkannt, betont sie.
Der Film bilanziert, dass Religion oft keine Bindungskraft mehr entfaltet. In der heutigen Zeit brauche es andere Ansatzpunkte. Beispielhaft wird eine Privatkapelle für Brautpaare gezeigt, die ein Ehepaar in ihrem eigenen Garten errichtet hat. Dies sei symbolisch für die Entwicklung. Menschen bedienten sich aus Bruchstücken der Tradition und setzt sie wieder neu zusammen. Die Verhältnisse würden wieder neu verhandelt: Ort für Ort. Die Quintessenz des Beitrags lautet, dass überlieferter Glaube abhanden gekommen sei. Was auf der einen Seite Verlust bedeute, schaffe auch Freiraum für neue Ideen und Partnerschaften.
Land ohne Glauben? – Die Story im Ersten, ARD, Montag, 12. Juni um 22.45 Uhr
Von: jw