Anne Will sprach am Sonntag mit ihren Gästen über die Radikalisierung von Jugendlichen zum Islamismus. Zu dem Thema „Mein Leben für Allah – Warum radikalisieren sich immer mehr junge Menschen?“ diskutierten Wolfgang Bosbach, Sascha Mané, Nora Illi, Mohamed Taha Sabri und Ahmad Mansour.
Für Nora Illi, die in der islamischen Vollverschleierung Nikab erschienen war, war die Konversion zum Islam eine längere Entwicklung. Im Alter von 18 Jahren habe sie sich entschieden, vollverschleiert zu leben. Die Mediengestalterin und „Frauenbeauftragte des Islamischen Zentralrats der Schweiz“ betonte, dass sie am Islam vor allem den Respekt, der ihr als Frau entgegengebracht werde, schätze. Sie habe viele Rechte und Möglichkeiten, sich im Islam auszuleben. Beispielsweise müssten sich islamische Frauen weniger mit dem Spagat zwischen Kindern und Karriere auseinandersetzen. Auf ihrer Webseite nennt es die 32-Jährige „Zivilcourage“, wenn junge Frauen in den Krieg zögen. Der Islam werde weltweit drangsaliert.
„Habe klare und einfache Regeln geschätzt“
Nicht nur diese These sorgte für Diskussion. Ihr Auftreten in Vollverschleierung irritierte einige der Teilnehmer. CDU-Politiker Wolfgang Bosbach nannte mehrere Beispiele dafür, dass die Rolle der Frau im Islam nicht so positiv sei, wie von Illi dargestellt. „Die Frau ist im Islam benachteiligt“, betonte der Christdemokrat. Er warb darum, sich nicht nur Sorgen über die Behandlung von Muslime zu machen, sondern auch um die der Christen, die die am meisten verfolgte religiöse Gruppe darstellten.
Der Autor Ahmad Mansour gehörte früher selbst dem radikalen Islam an. Er warf Illi vor, den Islam zu verherrlichen. In seiner Jugendzeit habe er am radikalen Islam die klaren und einfachen Regeln geschätzt. Heute berät er die Angehörigen von radikalen Jugendlichen: „Der radikale Islam ist nicht Bestanteil der Gesellschaft. Auch die Mimik sei wichtig für die tägliche Kommunikation“, sagte Mansour und kritisierte damit eindeutig das Tragen der Nikab von Illi.
„Eine barbarische Terroreinheit“
Ziel müsse ein Glaube sein, der nicht zur Radikalisierung führe: „Die Moscheen können da Teil der Lösung sein, aber sie sind Teil des Problems“, fand Mansour. Er forderte ein Verständnis des Islam, das mit Menschenrechten vereinbar sei. Bosbach nannte einen verharmlosenden Eintrag auf Illis‘ Webseite über die Terrormiliz IS sogar „offene Kriegspropaganda“. Beim IS handele es sich um eine barbarische Terroreinheit, die gegen alle Menschen vorgehe, die sich ihr nicht unterwerfen.
Wenn Rechte und Werte gepredigt werden, die der freiheitlich-demokratischen Grundordnung widersprechen, lehne er dies ab. Bosbach warb für Toleranz, „aber nicht denen gegenüber, die uns gegenüber nicht tolerant sind“.
Blass in seiner Argumentation blieb der Imam der Moschee in Berlin-Neukölln, Mohamed Taba-Sabre. Wenn sich Jugendliche radikalisierten, seien sie oft orientierungslos oder hätten Probleme in der Familie. Die Radikalisierung sei ein theologisch falscher und nicht begründeter Weg. Dass in seiner Moschee schon Hassprediger auftraten, relativierte er. Seine Moschee bringe eine hohe gesellschaftliche Integrationsleistung.
In den sozialen Netzwerken wurde während und nach der Sendung eifrig die Frage debattiert, ob eine Diskussionsteilnehmerin in Nikab auftreten sollte. Auf Twitter ärgerte sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Sebastian Steineke, „dass man im Fernsehen dem radikalen Islam eine solche Plattform bietet“. Die ehemalige baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) meldete sich etwas schwammig: „Zustimmung. Provokation. Und Quote. Morgen redet jeder darüber. Medienkrise zu Zeiten von Talkshow-Overkill…“
CDU-Generalsekretär Peter Tauber ging noch einen Schritt weiter und stufte den Auftritt als schweren Fehler der ARD ein: „Wenn eine Frau mit Nikab in der Sendung einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt als Frauenbeauftragte präsentiert wird, dann habe ich die Sorge, dass man demnächst im deutschen Fernsehen Herrn Assad als Menschenrechtsbeauftragten ankündigt.“
Sender verteidigt Einladung
Die vierfache Mutter Nora Illi gilt als Symbolfigur der Islam-Debatten. Ihre Organisation vertritt rund 3.000 der 400.000 Schweizer Muslime. Illi ließ sich als Teenager katholisch taufen. Nach einer kurzen Zeit als Buddhistin wandte sie sich dem Islam zu. Der Sender hat im Laufe des Montags die Einladung der Frau verteidigt. Die Entscheidung sei sorgfältig abgewogen worden, teilte die verantwortliche NDR-Redakteurin Juliane von Schwerin mit. Die Zusammensetzung der Diskussionsrunde habe zu einer „angemessenen wie notwendigen Auseinandersetzung“ geführt.
Welches Fazit bleibt von solch einer Runde? Es ist wichtig, dass sich in einer Diskussion die Partner auf Augenhöhe begegnen. Dazu gehört eigentlich auch, dass man die Mimik und Gestik des Gegenübers beobachten kann. Trotzdem herrscht in Deutschland das hohe Gut der Meinungsfreiheit, und die Vollverschleierung ist nicht verboten. Deswegen sollte eine Person wie Frau Illi nicht grundsätzlich aus einer solchen Runde ausgeschlossen werden, nur weil sie eine Nikab trägt. Wie und mit welchen Attributen sie präsentiert wird, liegt in den Händen der Redaktion. Aber nur wenn sie daran teilnimmt, kann man mit ihr diskutieren, jeweilige Argumente austauschen und sie bei Bedarf „entzaubern“. (pro)„Tatort“ als eine religiöse Parallelwelt (pro)
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