Annette Winterhoff lebt mit ihrem zweiten Mann Thomas und zwei Töchtern aus jeweils erster Ehe in gutbürgerlichen Verhältnissen. Die Patchwork-Familie erwartet ihr erstes gemeinsames Kind. Im sechsten Monat erhalten die werdenden Eltern die Diagnose Trisomie 18. Sollte das Kind die Geburt überleben, hat es nur eine geringe Lebenserwartung. Dies stellt die Eltern vor schwere Frage: Lassen sie ihr Kind zur Welt kommen? Oder leiten sie eine Abtreibung ein?Die Lehrerin und der Arzt geraten in einen Zwiespalt. Dabei offenbaren sich deutliche Unterschiede zwischen den beiden: „Wir wollten nehmen, was kommt“, betont Annette Winterhoff, die exzellent von Annette Frier verkörpert wird. Sie möchte ihr Ja zum Kind nicht durch weitere Untersuchungen beeinflussen. Ihr Mann weiß als Mediziner genau, was durch den Befund auf sie zukommt. Er sorgt sich darum, den eventuellen Anforderungen nicht gerecht zu werden.
Emotionales Wechselbad der Gefühle
Gewürzt wird die Situation durch die zwei sehr unterschiedlichen Töchter. Annettes 15-jährige Julia ist nur genervt von der neuen Familie und verwünscht das Baby. Sie möchte zu ihrem leiblichen Vater ziehen. Als sie von der Diagnose erfährt, fühlt sie sich hinterher schuldig. Die zehnjährige Eva hatte vor fünf Jahren schon den Krebstod ihrer leiblichen Mutter zu verarbeiten. Thomas möchte ihr deswegen einen weiteren Verlust nicht zumuten. Die Diagnose überfordert sie völlig.Die Familie geht durch ein emotionales Wechselbad der Gefühle. Sollen sie dem Kind ein kurzes, erbärmliches, schmerzvolles Leben ersparen, oder darf es leben? Eigentlich hatte Annette Winterhoff ihre feste Entscheidung getroffen, die aber dann doch wieder ins Wanken gerät. Der Besuch bei einer betroffenen Familie manifestiert die Entscheidung. Die zehnjährige Eva bringt sogar noch eine geistliche Komponente in den Film. Sie wünscht sich, dass die Familie wieder häufiger in die Kirche geht und betet, so wie sie dies früher mit ihrer Mutter getan hatte. Sie stellt nicht nur die schwierige Frage „Warum kommt ein Kind behindert zur Welt?“, sondern wünscht sich auch, dass das Mädchen nach ihrer Geburt getauft wird, um dann bei ihrer Mutter zu sein.Hut ab, ARD!
Den Macherinnen Franziska Meletzky (Regie) und Henriette Piper (Buch) des Films gelingt es, die verschiedenen Blickwinkel der Familienmitglieder gut zu skizzieren und ihre Sicht der Dinge auf die Entscheidung darzustellen. Annette Frier und Christian Erdmann überzeugen, indem sie die Extreme von Lebenslust und Leid darstellen. Aber auch den Kindern spürt man die innere Zerreißprobe ab. Die schwere Entscheidung schweißt die Familie aber auch zusammen. Dabei wirft der Film viele moralische, ethische und philosophische Fragen auf und rückt ein Thema in den Mittelpunkt, das durch immer weniger behinderte Kinder aus dem Blick zu geraten scheint. Hut ab vor der ARD, eine solche Geschichte zu einer solch prominenten Sendezeit im Fernsehen zu erzählen. Es ist wahrlich kein Gute-Laune-Film, der ins vorösterliche Programm passt. Ohne die eine oder andere Denkweise zu verurteilen, greift der Film ein sensibles und sehr emotionales Thema gekonnt auf und zeigt, wie existenziell der dargestellte Konflikt Menschen verändern und berühren kann. (pro)„Nur eine Handvoll Leben“ läuft am 23. März um 20.15 Uhr im Ersten.