Flucht aus dem Zwang: Sektenaussteiger berichten

Wie wird der Glaube zum Gefängnis? Wie können Eltern dulden, dass die eigenen Kinder geschlagen werden? Diese und ähnliche Fragen hat die Moderatorin Sandra Maischberger am Dienstagabend mit mehreren Sektenaussteigern in ihrer Sendung diskutiert – und gewährt erschreckende Einblicke.
Von PRO
Lea Laasner Vogt (l.) berichtete bei Maischberger (r.) vom sexuellen Missbrauch durch einen Sektenguru
Lea Laasner Vogt wächst gutbürgerlich in Österreich auf. Ihr Vater ist Architekt, die Mutter kümmert sich um die Kinder, Lea und ihren kleinen Bruder. Als die Ehe der Eltern zu kriseln beginnt, findet die Mutter Halt in der Sekte „Licht-Oase“. Die Familie schließt sich dem Sektenguru an und folgt ihm ins zentralmerikanische Belize. Als Laasner Vogt 13 Jahre alt wird, hat sie der Sektenguru zu seiner Lebensgefährtin erklärt und seitdem sexuell missbraucht. Erst acht Jahre später konnte sie sich mit Hilfe von Einheimischen aus den Fängen der Sekte befreien und nach Europa fliehen. Dort beginnt sie ein neues Leben – ohne Zwänge, ohne Gehirnwäsche, ohne Psychoterror. „Wir sind als ganze Familie der Gemeinschaft beigetreten und haben sie mitfinanziert“, erzählt Lea, die nun in der Schweiz studiert. „Der Alltag war gemeinschaftlich organisiert: jemand war zuständig für das Kochen, ein Anderer für die Wäsche, sogar für die Kinder gab es extra Ansprechpartner. So haben wir den Bezug zu den Eltern schnell verloren. Wir mussten uns von allem Irdischen lösen, das war der Weg in die Erlösung.“ Irgendwann seien die Eltern nicht mehr in der Lage gewesen, ihre Kinder zu schützen. Dafür hatten ihre Eltern die gesamte Existenz aufgeben.

Zwölf Stämme: „Alternative zum etablierten Leben“

Gerade in Krisenphasen seien Menschen besonders anfällig für religiöse Indoktrinationen, erklärt die Sektenexpertin Sabine Riede. „Sekten haben nichts mit dem Verstand zu tun. Die Bindung läuft über das Gefühl und kommt meistens schleichend.“ Sie vermittelten Menschen das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, gäben ihnen Aufgaben in Projekten. Eine immer stärker werdende Einbindung in die Gemeinschaft führe dazu, dass Menschen sich von ihrem familiären Umfeld und von Freunden abschotten. Diese Erfahrung machte auch Frank Büchner. Als Student sehnte er sich nach subkulturellen Lebensformen. „Ich wollte eine Alternative zum etablierten Leben“, berichtete er in der Sendung. Dabei stieß er auf die Sekte „Zwölf Stämme“. „Ich war fasziniert von der Gemeinschaft, die dort vorherrschte. Außerdem habe ich schnell viele Leute kennengelernt, durfte häufig reisen.“ Jedoch habe das Konzept Risse gehabt. Als er die unablässige „Züchtigung“ seiner vier Kinder und den verantwortungslosen Umgang mit seiner schwerkranken Frau nicht mehr hinnehmen wollte, wurde er aus der Sekte verbannt. Kurze Zeit später holte er auch seine Kinder aus der Glaubensgemeinschaft. Zu seiner Ehefrau, die weiterhin den „Zwölf Stämmen“ angehört, hat er seitdem keinen Kontakt mehr.

Kindesmisshandlung im Keller

Besonders erschreckende Erlebnisse machte der RTL-Fernsehreporter Wolfram Kuhnigk in der besagten Sekte. Er schleuste sich für wenige Tage in die „Zwölf Stämme“ ein und brachte erschreckende Bilder mit. Mit einer versteckten Kamera filmte er, wie Sektenmitglieder Kinder misshandelten – oder mit deren Worten „züchtigten“. Er übergab das Filmmaterial der Polizei, die Anfang September schließlich 40 Kinder aus der Sekte befreite und bei Pflegefamilien unterbrachte. Wobei sein erster Eindruck von der Glaubensgemeinschaft ein anderer gewesen sei: „Sie wirkten harmlos.“ Jedoch habe er in Gesprächen schnell gemerkt, dass die Mitglieder einstudierte Sätze abspulten und sich gegenseitig kontrollierten. „In Deutschland kann jeder glauben, was er will, aber er kann nicht tun, was er will“, sagt die Sektenexpertin Riede in der Talkrunde. „Auch die ‚Zwölf Stämme‘ müssen sich an Gesetze halten.“ Frank Büchner arbeitet noch heute an den psychischen Folgen, die die Sekte in ihm ausgelöst hat. „Die Menschen dort besitzen keine Souveränität. Sie haben nie gelernt, Entscheidungen zu treffen. Mein Frau machte widerstandslos alles, was man ihr sagte.“ (pro)
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