ZDF: Ein Unfall für die Quote?

War die Wette, die einen 23-jährigen Hobbystuntman am Samstag bei "Wetten, dass..?" zu Fall und in Lebensgefahr brachte zu riskant? Darüber diskutiert die Medienwelt derzeit und gibt dem Quotenkampf zwischen dem Unterhaltungsklassiker und RTLs "Supertalent" die Schuld am Unglück.

Von PRO

Wettbetrug, ein alternder Moderator oder langweilige Showinhalte – bisher musste das ZDF seinen Quotenrenner "Wetten, dass..?" zwar gegen allerhand Kritik verteidigen. So dicke wie derzeit, kam es aber noch nie für den Mainzer Sender. Am Samstag verunglückte Wettkandidat Samuel Koch schwer, als er mit Sprungfedern an den Beinen über fahrende Autos sprang. Ausgerechnet beim Stunt über den Wagen, den sein eigener Vater fuhr, verletzte sich der Schauspielstudenten an der Wirbelsäule. Kochs Zustand war am Montag weiter kritisch. Er lag im künstlichen Koma und zeigte Lähmungserscheinungen. War die Wette zu gefährlich? Hätte das ZDF den Vorfall vorhersehen können?

"Wir hätten ihn vor sich selbst geschützt"

Moderator Thomas Gottschalk ist erschüttert, sieht die Schuld aber nicht beim Sender. Der "Süddeutschen Zeitung" sagte er im Interview: "Samuel wollte die Sendung ausdrücklich nutzen, um sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Wenn bei uns der Eindruck entstanden wäre, er hätte sich mit seinem Wett-Angebot übernommen, hätten wir ihn vor sich selbst geschützt – wie wir das schon früher bei anderen Kandidaten getan haben. Er war aber physisch und psychisch so stark, dass wir keinen Grund hatten, an ihm oder der Wette zu zweifeln." Laut Berichten der Deutschen Presse-Agentur (dpa) kündigte ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut dennoch an, künftig vorsichtiger bei der Auswahl der Wetten zu sein. "Wetten, dass..?" solle aber auf jeden Fall weitergehen.

Pikant macht die Geschichte um den tragischen Unfall Kochs vor allem der Quotenkampf des ZDF mit RTL. In der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen ist die zeitgleich beim Privatsender laufende Sendung "Supertalent" Marktführer. Am vergangenen Samstag erreichte die Casting-Show 8,34 Millionen Zuschauer aller Altersklassen. Bei "Wetten, dass..?" waren es nach Informationen der "Welt" bis zum Abbruch der Sendung 8,13 Millionen. Zum ersten Mal hat RTL den ZDF-Klassiker damit auch insgesamt überholt. Gottschalk erklärte dazu: "Den Vorwurf, wir hätten unter Konkurrenzdruck eine unverantwortliche Wette ins Programm genommen, möchte und muss ich zurückweisen. Wir hatten immer schon riskante Wetten, ob mit Motorrädern oder auf Skisprungschanzen. Das ist ein Teil des Programms."

Risiko gehört dazu

Unfälle passierten tatsächlich schon häufiger bei "Wetten, dass..?". 2009 etwa stürzte Co-Moderatorin Michelle Hunziker mit einem Motorroller. 2008 versuchte ein Amerikaner, mit einem BMX-Rad über ein Einfamilienhaus zu springen und brach sich das Bein. Auch in anderen Unterhaltungsshows kam es schon zu verheerenden Unfällen. In der Pro-Sieben-Show "The Next Uri Geller" drohte eine Frau 2009 zu ertrinken. Sie hatte sich in einem Tank einschließen lassen, in den langsam Wasser floss. Sie musste mithilfe eines Bolzenschneiders aus dem Gefäß gerettet werden.

ZDF-Verwaltungsratschef Kurt Beck hat nach Informationen der dpa derweil eine Quotendebatte im öffentlich-rechtlichen Sender gefordert. "Natürlich müssen wir über die Themen sprechen: Wann werden die Grenzen des Verantwortbaren überschritten? Wie viel Risiko darf man eingehen?", sagte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und weiter: "Natürlich müssen wir auch über die Themen Nervenkitzel, Waghalsigkeit und Quote reden." Der Berliner Medienwissenschaftler Norbert Bolz sagte in der "Welt", es sei erbärmlich, wie das ZDF versuche, aus einer ehemals seriösen Unterhaltungsshow eine "Proletenshow" à la RTL zu machen, um die Quote anzukurbeln. Ausgerechnet ein öffentlich-rechtlicher TV-Sender beschleunige damit den Trend "zu immer extremeren und immer absonderlicheren Darbietungen" der Casting-Gesellschaft. "Wenn es dem ZDF ernst wäre mit seinem Bildungsauftrag, müsste es völlig auf Shows wie ‚Wetten, dass..?‘ verzichten."

Laut Informationen des "Spiegel" soll Gottschalk seinen Mitarbeitern nach der Sendung über Koch gesagt haben: "Wir haben ihn auch bei den Proben hinfallen sehen." Aber da sei der Wettkandidat gleich wieder aufgestanden. Kurz zuvor hatte der Moderator noch vor Publikum gesagt: "Er hat’s bei den Proben jedes Mal geschafft." Interne ZDF-Unterlagen sollen laut "Spiegel" zudem zeigen, dass Samuel Koch seine Wette selbst als riskant einschätzte. "Es ist ein ekelhaftes Gefühl, Autos, die auf einen zufahren, entgegenlaufen zu müssen", soll er gesagt haben. Es sei schwierig, dass die Sprünge bei jedem Auto unterschiedlich hoch und lang sein müssten. Der "Badischen Zeitung" sagte Koch kurz vor der Sendung: "Bei den Proben am Donnerstag bin ich zweimal schwer gestürzt."

Kirche nimmt ZDF in Schutz

Der Medienbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Markus Bräuer, nahm den Sender in Schutz. In einem Gespräch mit "evangelisch.de" sagte er, er habe großen Respekt vor der Entscheidung, die Sendung abzubrechen. "Wetten, dass …?" sei das Flaggschiff des ZDF. Umso höher sei die Entscheidung der Verantwortlichen zu begrüßen, Kosten und Aufwand der Sendung angesichts eines solchen Zwischenfalls hintanzustellen. "Hier findet das christliche Menschenbild seinen Ausdruck", sagte Bräuer. Diemut Roether, Redakteur des Evangelischen Pressedienstes (epd), sagte der Plattform: "Nach allem, was man weiß, ist das ZDF in diesem Fall verantwortungsvoll mit dem Kandidaten umgegangen." Verantwortungsloser finde er, was andere Sender, beispielsweise RTL, mit Kandidaten von Casting-Shows machten, die bewusst gnadenlos der Lächerlichkeit preisgegeben würden. Der Quotendruck sei dennoch definitiv vorhanden. "In diesem Zusammenhang sollten sich die Medien, die, wenn ‚Wetten dass..?‘ mal weniger als zehn Millionen Zuschauer hat, darüber berichten, als sei dies eine Katastrophe, auch mal an die eigene Nase fassen. Acht oder neun Millionen Zuschauer sind immer noch eine beachtliche Größe", mahnte er.

Medienethik hin oder her, die TV-Zuschauer werden "Wetten, dass..?" trotz oder wegen des Quotenkrieges wohl auch künftig gewogen sein. Eine repräsentative Erhebung des Instituts "YouGov" ergab laut dpa: 77 Prozent wollen auch weiterhin "Wetten, dass..?" im TV sehen, 65 Prozent geben dem ZDF keine Mitschuld an dem Unfall und 63 Prozent glauben nicht, dass Quotendruck damit in Zusammenhang steht. Jedoch wünschen sich 59 Prozent der 961 Befragten, dass künftig auf riskante Wetten verzichtet wird; 33 Prozent halten das für unnötig.

Unterdessen hat sich auch der Badener Landesbischof Ulrich Fischer bestürzt über den Unfall des  "Wetten dass..?"-Kandidaten gezeigt. Koch und seine ganze Familie sind ehrenamtlich in einer südbadischen Kirchengemeinde aktiv. Fischer teilte mit, er bete für Samuel Koch und seinen Vater. (pro)

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