Medien und Holocaust im Wandel der Zeit

Am 27. Januar 1945 haben Alliierte die wenigen Überlebenden aus dem Konzentrationslager Auschwitz befreit. Bundespräsident Joachim Gauck warnte nun im Bundestag vor dem Vergessen dieser Gräueltaten. Medien, vor allem dem Film, kommt dabei seit Kriegsende eine besondere Rolle zu.
Von PRO
Der Eingang zum KZ Auschwitz. Der polnische Häftling Jan Liwacz schmiedete aus Protest das B unbemerkt verkehrt herum
Als die Alliierten zum Kriegsende die ersten Konzentrationslager entdeckten, wollten sie alles aufzeichnen, was von den Gräueltaten der Deutschen zeugte. Kamerateams hatten die Truppen schon länger begleitet, um deren Vormarsch in Deutschland zu dokumentieren. Das Material war für Filme, Dokumentationen und Nachrichten bestimmt. Dem Journalismus wiesen die Alliierten eine besondere Verantwortung zu: die Re-Education der Deutschen. Mittels der Lizenzpresse sollte der Journalismus erneuert werden. Die Alliierten wollten mit diesem Konzept die Pressevielfalt fördern und Kontinuitäten verhindern. Die Darstellung des Holocaust in den Medien durchlief mehrere Phasen. Die Medien taten sich schwer mit einer angemessenen Darstellung dieses Themas. Zwar wurden unmittelbar nach dem Krieg die Konzentrationslager dokumentiert, doch die Opfer spielten dabei kaum eine Rolle. Dies wandelte sich im Laufe der Zeit. Die thematischen Schwerpunkte verlagerten sich, teilweise auch bedingt durch den kulturellen Wandel innerhalb Deutschlands.

50er: Juden als Opfer nur beiläufig thematisiert

In den 50er Jahren regen unter anderem antisemitische Schmierereien Journalisten zu einer verstärkten Thematisierung des Holocaust in den Medien an. Adenauer betreibt daraufhin Symbolpolitik und besucht erstmalig ein KZ, die Bildungspläne werden verändert, die Vernichtungslager werden zu Lernorten für Schüler gemacht. Prozesse wie der Ulmer Einsatztruppen-Prozess hingegen finden nicht den Eingang in die Berichterstattung wie später der Eichmannprozess, der mediengerecht ausgeführt und von zahlreichen Filmteams und Reportern begleitet wird. Ein besonderes Ereignis ist die Ausstrahlung des Films „Das Tagebuch der Anne Frank“. Der amerikanische Spielfilm über die 15-jährige Jüdin, die in ihrem Tagebuch die Deportation ihrer Familie beschreibt, erfährt in Deutschland erst Aufsehen, nachdem es in Amerika zuvor bereits Theaterstücke am Broadway und ausführliche Berichterstattung zu dem Thema gegeben hat. Ende der 1950er kommen immer mehr Filme auf den Markt, die sich kritisch mit dem Thema Holocaust auseinandersetzen. Auch Dokumentarfilme wie „Nacht und Nebel“ setzen sich zunehmend mit den Massenmorden durch die Nationalsozialisten auseinander, die Filmbeteiligten waren teilweise selbst Insassen. Allerdings wurden die Juden als Opfer des NS-Regimes nur beiläufig thematisiert.

Aufarbeitung in den 1960ern

In den 1960er Jahren setzt ein Wandel im Journalismus ein. Es entstehen neue Formate wie das politische Magazin „Panorama“, das sich kritisch mit Politik und Gesellschaft auseinandersetzt. Der WDR und SWR produzieren mit Hilfe von Historikern die Serie „Das Dritte Reich“ und bedienen sich mit dem Titel der Nazi-Terminologie. Die achte Folge beschäftigt sich mit dem „SS-Staat“ und stellt die Massenverfolgung auf drastische Weise dar. Deutschland stellt sich der Vergangenheit und arbeitet auf, heißt es nun in Publizistik und Wissenschaft. Selbst ausländische Medien werden aufmerksam auf die Serie. Nach dieser Hochphase flaut das Interesse an jenen Sendungen nach 1968 wieder ab. Erst in der Ära Helmut Kohl bekommt das Thema durch den Historikerstreit, in dem die einzelnen Medien schließlich Austragungsort wurden, wieder Aufschwung. Wissenschaftler wie der Soziologe Jürgen Habermas treiben die Diskussion um die Singularität des Holocaust und um dessen identitätsstiftendes Merkmal für Deutschland voran. Hinzu kommt die Ausstrahlung von Filmen wie „Shoah“ von Claude Lanzmann (1985). Ähnlich wie die Serie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiß“ (1978) regt die Ausstrahlung Diskussionen um Vergangenheitsaufarbeitung in Deutschland an. In den 1990er Jahren sensibilisieren besonders Produktionen wie „Schindlers Liste“ für eine Auseinandersetzung mit dem Holocaust.

Alte Dokumente rekonstruiert

Erst im vergangenen Jahr wurde im Rahmen der Berlinale der Film „Night Will Fall“ gezeigt. Die Dokumentation zeigt die Wiederherstellung eines Films durch das Imperial War Museum in London. Das Filmmaterial zeigt die Zustände, die bei der Befreiung in den Konzentrationslagern vorgefunden wurden. Als beratender Regisseur sollte Alfred Hitchcock einst die Bilder zusammenstellen. Sie wurden als zu grausam empfunden und lange nicht veröffentlicht. „Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz. Die Erinnerung an den Holocaust bleibe eine Sache aller Bürger, die in Deutschland leben“, sagte Gauck am Dienstag in einer Sondersitzung zum Gedenken der Holocaust-Opfer im Bundestag. (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/weltweit/detailansicht/aktuell/von-aufklaerung-bis-ignoranz-holocaust-in-schulbuechern-90873/
https://www.pro-medienmagazin.de/kultur/buecher/detailansicht/aktuell/ich-schwebe-nicht-mehr-haltlos-im-leeren-raum-90568/
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/giordano-gott-ist-eine-projektion-90437/
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