Filmkritik

„Maria“ bei Netflix: Heilige Mutter Gottes!

Der Katholizismus tendiert dazu, Jesu Mutter Maria zu überhöhen. Protestanten hingegen blicken etwas nüchterner auf sie. Sie müssen beim neuen, sehr kitschigen Netflix-Film „Maria“ sehr stark sein.
Von Jörn Schumacher
Netflix-Film „Maria“

Viel weiß man über Maria und ihre Familie nicht. Die Bibel bemüht sich schließlich, den Fokus auf Jesus, den Retter der Menschheit zu legen. Doch das hinderte Menschen nicht, sich über die Jahrhunderte hinweg ihre eigenen Geschichten um die „Mutter Gottes“ auszudenken. Der Film „Maria“, der seit Kurzem auf Netflix zu sehen ist, speist sich aus diesen Mythen. Und er erfindet noch so manches Mythische hinzu.

Regie führte der Amerikaner D.J. Caruso, der unter anderem verantwortlich zeichnet für die Filme „xXx: Die Rückkehr des Xander Cage“, „Ich bin Nummer Vier“ und „Disturbia“. Er wolle in seinem neuen Film der Welt ein „echtes, menschliches Bild“ Marias zeigen, sagte Caruso vorab der Presse. Doch genau dies konterkariert Caruso. Maria ist in seinem Film eine überhöhte Heilige, die zwar selbst nicht ganz versteht, für wen oder was sie auserwählt wurde, vor der aber alle Bösen im Film umso mehr erzittern, sobald sie das Mädchen nur erblicken.

Die Netflix-Maria als kleine Superheldin

So viel sei vorweggenommen: Wer hier eine biblisch fundierte Geschichte über Maria erwartet, wird enttäuscht. Wenn von Marias Vater Joachim oder der Mutter Anna die Rede ist, beruft sich der Drehbuchautor auf apokryphe Schriften. Fakten, die aus der Bibel oder von Bibelexperten bekannt sind, scheinen hier eher hinderlich gewesen zu sein und wurden vollständig ausgeblendet.

Fest steht, dass Maria biblisch gesehen in keiner Weise heilig war oder über übernatürliche Kräfte verfügte. Die Netflix-Maria jedoch ist eine kleine Superheldin, die aber leider ohne Plan durchs Judäa um das Jahr eins stolpert. Wenn etwa das noch kleine Mädchen mit ihrem Freund spielt, scharen sich auf wundersame Weise alle Schmetterlinge um sie. Keiner weiß, warum.

Auch dass Marias Eltern keine Kinder bekommen konnten, sie deswegen inständig zu Gott beteten, und dieser ihnen schließlich durch den Engel Gabriel eine Tochter verheißen ließ, steht nicht in der Bibel. Im Gegenzug müssen die Eltern Maria Gott weihen; ihre langen Haare werden abgeschnitten, und sie muss im Tempel dienen. Was nun folgt, ist harter Tobak für Bibelkundige oder wenigstens -freunde.

Es gab keine Tempeldienerinnen im Judentum

In der Realität hatten Frauen keine liturgischen Aufgaben im jüdischen Tempel zu verrichten. Das hinderte die Macher von „Maria“ nicht, die junge Heilige zu einer Art Tempeldienerin zu machen, an der Seite von mehreren Dutzend anderen Mädchen in ihrem Alter, die auf beklemmende Weise exakt so aussehen wie Maria. Alle Dienerinnen tragen hier blutrote Roben, und ja, sie sehen exakt so aus wie die Frauen in der bekannten dystopischen Serie „The Handmaid’s Tale“. Dort sind die Frauen zu Gebärmaschinen herabgewürdigt.

Wenn es schon an dieser Stelle von „Maria“ kaum verständlich ist, wie irgendein Experte dies durchgehen lassen konnte, so wird es leider noch schlimmer.

Noa Cohen, Schauspielerin Foto: Tal Abudi (טל עבודי), Beschnitt PRO | CC BY-SA 3.0 Unported
Die israelische Schauspielerin Noa Cohen verkörpert Maria im gleichnamigen Netflix-Film. Die Besetzung sorgte in sozialen Medien für zahlreiche antisemitische Kommentare.

Vor dem Tempel nimmt eine Frau Maria aus den Armen ihrer Eltern in Empfang, die aussieht wie eine Zauberin. Ihr Hut ist anderthalb Meter hoch, sie empfängt das Mädchen mit den Worten: „Du bist es.“ Mehr erfährt man nicht. Die ältere Dame wird „Prophetin“ genannt – soll das ein Verschnitt der Prophetin Hanna sein, die den acht Tage alten Jesus im Tempel als Erlöser erkannte (Lukas 2)?

Ein Priester nennt Maria „Das Gefäß des Versprechens“, auch seine Kopfbedeckung ist extravagant, hat aber nichts mit jüdischer Tradition zu tun. Sein Hut gleicht dem eines shintoistischen Priesters aus Japan viele Jahrhunderte später, er wird im Film „Mitra“ genannt – so hießen aber zwölf Jahrhunderte später die Kopfbedeckungen christlicher Bischöfe.

Das alles ist verwirrend, zumal es relativ gute Beschreibungen davon gibt, wie jüdische Priester und Hohepriester aussahen. Und zwar: in der Bibel! Irgendwie scheint man dieses Buch für die Filmproduktion verboten zu haben. Alles, was die polytheistischen Religionen jener Zeit praktizierten, und was Gott in der Bibel permanent verabscheut, wird in diesem Film dem Judentum zugesprochen.

Wie das Branchenblatt „Deadline“ berichtet hatte, sprach Drehbuch-Autor Timothy Michael Hayes in der Vorbereitung angeblich „mit Priestern, Bischöfen, Pastoren, Rabbis, Mormonen, Muslimen, Bibelgelehrten und Theologen“. Ob die während der Filmproduktion geknebelt in der Ecke lagen?

„Deadline“ berichtet weiter, als Berater für die Bibel trat der amerikanische Marketing-Experte und Bibellehrer Adam Schindler auf. Schindler ist Berater für das „America First Policy Institute“, einem Thinktank, der 2021 gegründet wurde, um die politische Agenda des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump zu fördern.

Über allem dräut Kitsch

Anthony Hopkins tut sein Bestes, den kaltblütigen, brutalen und ein bisschen verrückten König Herodes darzustellen. Angesichts des verqueren Drehbuchs ist dieser Besetzung allerdings traurige Verschwendung. Die deutsche Synchronstimme erscheint zudem bedauerlicherweise um mindestens 30 Jahre zu jung für die Herodes-Figur, die über 70 Jahre alt sein dürfte.

Warum kommen für wenige Sekunden Aristobulos und „seine Synagoge“ vor, ein Sohn des Herodes, der inhaltlich ansonsten in keiner Weise mit der Handlung verbunden ist? Und gab es in Judäa vor 2.000 Jahren wirklich schon zweiachsige Kutschen mit Dach, wie man sie ab dem Mittelalter aus Europa kennt?

Diese Produktion ist zwar aufwendig gemacht, der Funke will aber angesichts der vielen historischen Freiheiten, die man sich nahm, nicht richtig überspringen. Über allem dräut permanent Kitsch. Nicht einmal ihren späteren Ehemann Josef darf Maria wie ein ganz normaler Teenager kennen lernen. Auch hier muss ein Engel nachhelfen. Die Geburt Jesu am Ende ist dann nicht mehr als ein abgefilmtes überdimensioniertes Krippenspiel. Natürlich dürfen die „Heiligen drei Könige“ mit ihren Schatztruhen, ebenfalls der Bibel unbekannt, nicht fehlen.

Vielleicht ist es diese biblisch nicht zu begründende Überhöhung Marias im Katholizismus, die einem protestantischen Zuschauer bitter aufstoßen. Es gibt kaum etwas, das die Bibel mehr betont als das: Jesus ist der Messias. Keiner seiner Verwandten.

Ganz zu Beginn des Films wendet sich Maria direkt an den Zuschauer. Sie sagt: „Ich wurde auserwählt, der Welt das größte Geschenk zu überbringen, das ihr je gemacht wurde.“ In den folgenden endlosen 112 Minuten wird nicht einmal klar, warum dieser Jesus dieses Geschenk gewesen sein soll.

„Maria“, 112 Minuten, Regie: D.J. Caruso, seit 6. Dezember 2024 bei Netflix, ab 12 Jahre

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