Der ehemalige Präsident des Zentralkomitees der Katholiken in Deutschland (ZdK), Alois Glück, beklagt das Schwinden gesellschaftlichen und politischen Engagements in der Katholischen Kirche. Chance misst er in der Misere Außenseitern zu.
Von PRO
Foto: Zentralkomittee der Katholiken
Der ehemalige Präsident des Zentralkomitees der Katholiken (ZdK), Alois Glück, attestiert seiner Kirche Machtverlust
„Das gesellschaftliche und politische Engagement hat in der Kirche längst nicht mehr den Stellenwert wie vor wenigen Jahrzehnten“, sagte der ehemalige Vorsitzende des Zentralkomitees der Katholiken in Deutschland (ZdK), Alois Glück, auf einer Veranstaltung der Katholischen Akademie unter dem Titel „Poltisch und katholisch. Zwischen Profil und Pragmatik“ am Montag in Berlin. Die Kirche habe „die Welt immer mehr als eine feindliche Welt begriffen“.
Damit verbunden sei auch ein „Machtverlust der Kirche“ im Bezug auf die Lebensgestaltung der einzelnen Menschen und ihre Rolle in der Gesellschaft. Diese Erfahrung gelte auch für andere Verbände und große Organisation wie beispielsweise den Deutschen Gewerkschaftsbund und den Arbeitgeberverband, die heute längst nicht mehr ihre frühere Bedeutung hätten im politischen Entscheidungsprozess und der Willensbildung. „Viele in der Kirche kommen damit nicht zurecht“, erklärte der CSU-Politiker. Es gelte zu begreifen, dass der Auftrag der Kirche in Politik und Gesellschaft heute zuerst einen „Dienstcharakter“ haben müsse, der einen Beitrag zu den Lebensbedingungen und das Zusammenleben der Menschen leiste, und keinen Machtanspruch darstelle. Die Kirche habe dennoch das legitime Recht darauf, dass man ihre Anliegen in der Debatte berücksichtige, wenn es um ihre Rolle in der Gesellschaft gehe. „Wir sind eine Kraft, sicher keine unbedeutende, aber jedenfalls nicht mehr eine Kraft mit besonderem Alleinstellungsmerkmal was die christlichen Kirchen in ihrer Gesamtheit betrifft, wenn es um entsprechende Meinungsbildungen geht“.
Christliche Werte haben Ursprung auch außerhalb der Kirche
Es gelte das Selbstverständnis der Kirche in offener und säkularen Gesellschaft zu schärfen und sich über die Rolle darin klar zu werden. Glück riet „Partner in gesellschaftlichen Gruppen zu finden und mit ihnen zusammen zu arbeiten“, die nicht zwingend religiös motiviert sein müssten, wohl aber ähnliche Anliegen hätten. Als Beispiel dafür, wie eine Bewegung die ausserhalb der Kirche entstanden sei, mühsam in der Kirche verankert werden konnte, sei die Umweltbewegung. „Als die ersten begonnen haben, schöpfungstheologisch zu denken, hatten die es innerkirchlich ganz schwer.“
Auch die Hospitzbewegung sei zunächst von der Kirche überhaupt nicht verstanden worden. Mit der Begründung „Leiden ist gottgewollt“ habe sich die Kirche lange Zeit dieser zutiefst christlichen Bewegung verschlossen. „Das ist Gott sei Dank längst vorbei.“ Was die Kirche „früher oder später als christliche Werte definiert und als christliche Aufgaben“, habe seinen Ursprung häufig „außerhalb des christlich organisierten Raumes“. Die Wirksamkeit des Engagements in Gesellschaft und Politik hänge in hohem Maß von der Qualität der Argumente und der Zahl der Christen ab „die in den öffentlichen Raum gehen“. Glück warnte davor, auf den „moralischen Hochsitz“ zu steigen und zu belehren.
Stattdessen müssten sich Christen mit Sachkompetenz Gehör verschaffen. Die Qualität der Argumente entscheide, ob auch die Haltung aus einer Wertorientierung heraus gehört werde.
Forderung nach „Ethik des Kompromisses“
Demokratie ist nach Ansicht Glücks ohne Kompromissbereitschaft nicht denkbar und führe zu „Glaubenskriegen und Gottesstaaten“. Er forderte daher eine „Ethik des Kompromisses“. Den Begriff der „christlichen Werte“ sieht er in der Diskussion um Zuwanderung derzeit „strapaziert“. Es bliebe meist bei einer sehr allgemeinen Formulierung, besonders wenn es um die westlichen Werte ginge. „Vielleicht ist manchem Gegner der westlichen Werte bewusster, was damit verbunden ist“, sagte Glück.
Die Entwicklungen in der Gesellschaft würden von den dominanten Werten bestimmt. Es gelte zu präzisieren, auch angesichts einer „Suchbewegung in der Gesellschaft“, was unter christlichen Werten zu verstehen sei. Als Ausgangspunkt aller Entwicklungen nannte der Politiker das zugrundeliegende Menschenbild an. Dies könne den Orientierungspunkt darstellen in der Frage, wer Partner der Kirche sein könne in einer Frage und wer nicht. „Wenn Menschen und Gruppierungen Werte beschwören, die dem einen oder anderen auch wichtig sind – Familie, Heimat – aber gleichzeitig gegen Menschen anderer Rasse und religiöser Prägung Stimmung machen, kann nie und nimmer unser Partner sein.“ Der Respekt vor dem anderen sei zu wahren, und es gelte eine neugierige Kultur der Verantwortung in Freiheit zu entwickeln. Glück unterstrich die Verantwortung für die Zukunft der Nachkommen. Dazu gehören seiner Ansicht nach Verzicht, nachhaltiger Lebensstil und Selbstbegrenzung. Es könne nicht mehr lauen „Gemeinwohl für uns“, stattdessen müsse der Anspruch heißen „Gemeinwohl für die Weltgemeinschaft“.
Als besondere Herausforderung wertete Glück die Herausforderung der Religionen, in denen er „nach wie vor eine starke Kraft in der Welt“ sieht. Andere kulturelle und religiöse Gepflogenheiten müssten stärker berücksichtigt werden. Der Dialog der Religionen sei ein Garant für das friedliche Miteinander der Kulturen. Potential sieht Glück vor allem bei den engagierten Minderheiten. Als Beispiel nannte Glück die Befürworter der Umweltpolitik. „Alles Neue entsteht von unten. Am Anfang stehen im Außenseiter“. Eine Gesellschaft könne nur dann kreativ sein, wenn sie Raum lasse für Außenseiter, die die Entwicklungen prägten, auch in der Kirche. „Wir brauchen engagierte Christen, die mit Kompetenz und der entsprechenden Kraft aus ihrer Spiritualität heraus in den Fragen dieser Zeit mit gestalten“, erklärte Glück. Dahingehend müssten neue Wege gesucht werden und plädierte für die Förderung der Gesprächsfähigkeit sowohl innerhalb der Kirche als auch in Politik und Gesellschaft.
Der Direktor der Katholischen Akademie, Joachim Hake, würdige Glücks Engagement in der Sterbehilfedebatte. „Das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe in Deutschland wäre ohne das Engagement von Alois Glück vielleicht nicht zustande gekommen.“ Glück habe als Präsident des ZdK wegen des katholischen Milieuverlustes immer wieder davor gewarnt, in „einen politik- und gesellschaftsvergessenen Narzissmus zu verfallen“, erklärte Hake. Am 20. November 2015 endete die Amtszeit von Alois Glück als Präsident des ZdK. Glück hatte sein Amt 2009 in schwierigen Zeiten angetreten. Zum einen wurden in dieser Zeit Fälle von Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche öffentlich und lösten so eine Debatte über sexuellen Missbrauch in der Kirche weltweit aus. Zum anderen fiel seine Amtszeit in der katholischen Laienvertretung auch in den Skandal um den ehemaligen Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst, der wegen überzogener Baukosten des Diözesanen Zentrums Sankt Nikolaus in Limburg schließlich auf sein Amt verzichtete und dabei ebenfalls eine Debatte über die Vermögensverhältnisse der Kirche und deren Umgang mit Geld eröffnet hatte. (pro)
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