In Polen läuft zurzeit das landesweite Examen, das als Aufnahmeprüfung für das dreijährige Lyzeum sowie weiterführende Schulen gilt. In dem Examen sollten die Neuntklässler den Urheber eines Edikts, in dem die „lutherische Ketzerei“ verurteilt und ihren Anhängern die Todesstrafe angedroht wird, herausfinden. Der damals regierende König Sigismund I. hatte in diversen Erlassen versucht, die sich ausbreitende Lehre Luthers mit drakonischen Mitteln einzudämmen.
Stigmatisierung der Protestanten
Die Gymnasiasten hätten darauf hingewiesen werden müssen, dass es sich um einen „intoleranten“ Erlass handele, zitiert die Tageszeitung Die Welt den leitenden Bischof der evangelisch-augsburgischen Kirche in Polen, Jerzy Samiec. Durch das Fehlen einer Distanzierung seien Stereotype gefestigt und Protestanten stigmatisiert worden, schreibt Die Welt.
Brisanz erhält der Vorgang, weil Polen eine wechselhafte Religionsgeschichte hat. Zu Luthers Zeiten sympathisierten viele Adelige mit dem protestantischen Glauben. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist Polens Adel tatsächlich für zwei Generationen überwiegend evangelisch gewesen. Durch die Treue der Krone zur römischen Kirche verlor der Protestantismus mit der Zeit an Stoßkraft. Nach einem gescheiterten Aufstand der Protestanten kehrte das Land beinahe vollständig in den Schoß der römischen Kirche zurück.
Heute sind die religiösen Machtverhältnisse in Polen eindeutig. Fast 90 Prozent der 33,5 Millionen Polen gehören der Katholischen Kirche an. Die evangelisch-augsburgische Kirche hat nur 70.000 Mitglieder. Polens Bildungsministerin Krystyna Szumilas entschuldigte sich umgehend für die Prüfungsaufgabe. Der zentrale Geschichtstest habe zu wenig Sensibilität gezeigt, schreibt die Politikerin der christlich-demokratischen Bürgerplattform. Es sei nicht beabsichtigt gewesen, religiöse Gefühle der lutherischen Schüler zu verletzen. (pro)