„Bisher sagt die evangelische Kirche nicht, was sie feiern will. Denn sie weiß es nicht“, stellt Thielmann in einem Kommentar fest. Er kritisiert, die EKD versäume es, auf die positiven Seiten der Reformation hinzuweisen. Stattdessen konzentriere sie sich auf Vergangenheitsbewältigung: „Luther, der Antisemit. Luther, der Bauernfeind. Der Intolerante, der Chauvi, der Minderheitenverfolger.“ Darum gehe es dem EKD-Rat und auch der Reformationsbotschafterin Margot Käßmann in erster Linie.
Einen unkritischen Umgang mit dem Reformator könne der Protestantismus sich nicht mehr erlauben. „Luther als Kämpfer wider katholischen Aberglauben, das passt nicht ins Zeitalter der Ökumene. Luther als Nationalheld, als Schöpfer der deutschen Nation geht auch nicht mehr.“ Dabei habe es die Kirche verpasst, darauf hinzuweisen, dass Luthers judenfeindliche Schriften nur wenig verbreitet und früh abgelehnt worden seien. Im Dritten Reich seien seine Schriften gegen die Juden zunächst in der Kirche fast unbekannt gewesen. „Erst die braunen Machthaber haben die Christen an das vergessene Erbe erinnert – und Luthers theologisch motivierte Judenfeindschaft zum rassistischen Antisemitismus umgedeutet“, schreibt Thielmann.
So falle es selbst Margot Käßmann schwer, dem Protestantismus öffentlich etwas Positives abzugewinnen. Auf die Frage, warum sie evangelisch sei, habe sie jüngst geantwortet: „Ich kann das Kirchenverständnis der römisch-katholischen Kirche nicht nachvollziehen; die russische Orthodoxie erscheint mir zu erstarrt; das Judentum versuche ich zu begreifen; der Islam irritiert mich in vielem; der Buddhismus bleibt mir fremd.“ Thielmann schreibt dazu: „Nichts ist gut in Evangelistan. Da mag es einen beruhigen, wenn man zur Erkenntnis kommt, dass die anderen auch nicht besser dastehen.“ (pro)