Meinung

Lieben gegen das Gefühl: Herausfordernde Kinder annehmen

In jeder Familie gibt es schöne und schwere Zeiten. Doch was ist, wenn die anstrengenden Phasen gar nicht mehr aufhören und man die Kinder am liebsten dahin schicken würde, wo der Pfeffer wächst? Wie ein Ja zu extrem herausfordernden Kindern gelingt, zeigt das Buch „Mit Liebe bewaffnet“.
Von Christina Bachmann
Kind, weglaufen, umdrehen

„Ich möchte mein Kind ja liebhaben, aber es fällt mir so unglaublich schwer!“

„Eigentlich liebe ich mein Kind, aber ich komme einfach nicht mit ihm klar!“

„Ich kann mein Kind nicht mehr annehmen und finde es einfach nur noch anstrengend!“

„Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so viel rumschreien würde …“

Sie haben Kinder und kennen solche Aussagen nicht? Wie schön, dann gehört Ihr Kind vielleicht zu den vierzig Prozent der Kinder mit pflegeleichtem Temperament, die es laut Sonja Brocksieper auch gibt. Wer sich dagegen in diesen Ausrufen wiederfindet, kann erleichtert aufatmen: Er oder sie ist als Vater oder Mutter damit nicht allein. Das zeigen die Elternberichte, die die Diplom-Pädagogin und Dozentin der christlichen Famlienberatung „Team.F“ in ihrem Buch „Mit Liebe bewaffnet“ anführt.

Der Titel lässt schon ahnen: Es muss nicht bei diesen erschöpften und verzweifelten Aussagen bleiben. Denn Liebe ist eine Entscheidung. Und sie kann Beziehungen verändern. Glücklicherweise kommt die Autorin nicht mit vorschnellen So-geht-es-Ratschlägen. Sie zählt erst einmal auf, wie schnell Wunsch und Wirklichkeit auseinanderklaffen können und der Stress miteinander die echte Beziehung (zer)stört.

Mit der Kraft am Ende

Das Buch spricht die Eltern an, die sich eigentlich auf ihr Kind gefreut haben und es von Herzen lieben wollen, die aber irgendwann mit ihrer Kraft am Ende sind und sich in endlosen Machtkämpfen und Auseinandersetzungen wiederfinden. Und die sich eingestehen müssen: Ich komme nicht mehr klar, ich lehne mein Kind vielleicht sogar ab, so wie es ist.

Mit Liebe bewaffnet Foto: SCM Hänssler Foto: SCM Hänssler

Sonja Brocksieper: „Mit Liebe bewaffnet. Wie wir unsere herausfordernden Kinder annehmen“, SCM Hänssler, 176 Seiten, 14,99 Euro, ISBN 9783775160438

Ursachen für anstrengende Kinder gibt es viele, auch die benennt Brocksieper. Das muss gar nicht das Asperger-Syndrom oder ADHS sein, es reicht auch schon ein lautes, aufbrausendes Temperament, ein Aus-der-Norm-Fallen oder auffallendes Anderssein. Nicht zuletzt hat die Autorin selbst mit einem ihrer Söhne die Erfahrung gemacht: Eine Diagnose kann hilfreich sein und erstmal erleichtern, aber „dieses Wissen allein hat unsere Beziehung nicht gerettet.“

Schritte zum Herzen des Kindes

Doch was kann helfen? Da ist zunächst die notwendige Erkenntnis der Eltern: Mein Kind braucht es, sich unserer bedingungslosen Liebe sicher sein zu können. Diese Verantwortung müssen wir annehmen, der Ball liegt bei uns. Gott ist hier das Vorbild schlechthin für uns Menschen.

„Genauso wie sich Gott dazu entschieden hat, immer an der Beziehung zu seinen Kindern festzuhalten, ist es unsere Aufgabe als Eltern, unsere Kinder zu lieben. Eine Aufgabe, die leichtfällt und Spaß macht, wenn die Gefühle mitspielen und sich die Beziehung harmonisch und entspannt anfühlt, aber auch dann noch Gültigkeit hat, wenn sich die Glücksmomente und das gute Miteinander aus dem Familienalltag verabschiedet haben.“

Der erste Schritt ist die bewusste Entscheidung für das Lieben. Notfalls auch noch ohne Gefühle. Nicht warten, bis sich die Gefühle einstellen, so das Fazit einer Mutter, sondern das Richtige tun, denn das verändert auch die Gefühle. Das heißt praktisch, auch wenn es simpel klingt: Dem Kind gegenüber Liebe ausdrücken, ihm zum Beispiel sagen, dass man es lieb hat. Vielleicht auch um Verzeihung bitten für ablehnendes Verhalten. Das Schwierigsein erstmal grundsätzlich akzeptieren und vielleicht sogar die gute Seite anstrengender Charaktereigenschaften suchen. Christen können Gott um Liebe für ihr Kind bitten. Doch simpel heißt nicht einfach: Oft ist es ein langer Weg mit manchem Rückfall.

Keiner ist perfekt

Auch das gehört dazu: Das Bild von sich als perfekten Eltern ebenso loszulassen wie das Traumkind, was einem im Kopf sitzt. Entspannung ist angesagt: Wir müssen nicht die besten Eltern sein, sondern gerade mal gut genug! Und wir dürfen und müssen sogar an uns selbst denken, um Kraft zu schöpfen für den anstrengenden Familienalltag. Dass manche Eltern durch eigene Kindheitserfahrungen Wunden an sich tragen und therapeutischer Hilfe bedürfen, darauf verweist die Pädagogin ebenfalls.

Großer Pluspunkt des Buches: die ehrlichen Berichte von Eltern sowie die ermutigende Art der Autorin, die an keiner Stelle verurteilt, sondern immer noch Möglichkeiten sieht. Denn das Wesentliche geschieht in Kopf und Herz. Diese Haltung holt Eltern mit herausfordernden Kindern auch heraus aus einer Opferrolle: Sie können handeln und die Beziehung zum Guten gestalten. Es mag anstrengend bleiben, aber die Liebe steht nicht mehr zur Debatte.

Von: Christina Bachmann

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Eine Antwort

  1. Liebe, ja, natürlich.
    Und auch Konsequenz, eine altersangemessen Erziehung.

    Oft werden die Kinder einfach überfordert und alleingelassen, indem ihnen eine „Selbständigkeit“ zugemutet wird, die eigentlich ein im-Stich-lassen des Kindes ist. Dem Kind angemessen zu begegnen heißt auch, es nicht mit Diskussion zu Entscheidungen zu überfordern, die seinen Horizont übersteigen. Es heißt, einen zuverlässigen Schutzraum und Sicherheit zu gewährleisten.

    Und nicht die Kinder in Fremdbetreuung wegzudelegieren.
    „Was sich bei uns beobachten läßt, was aus einigen Zahlen amtlicher Statistiken, mehr noch aus den besorgten Berichten von Lehrern, Erziehern und Kinderärzten spricht, sind Hinweise auf eine Art von seelischer Verwahrlosung, von Abstumpfung, Grobheit und Unempfindlichkeit.
    Und zwar sowohl bei einer wachsenden Zahl von Kindern, die heute erzogen werden, als auch bei den Eltern, die sie erziehen.
    Oder nicht erziehen, weil sie dies nicht mehr für ihre persönliche, sondern für eine Aufgabe des Staates halten.“
    https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/politik/rezension-sachbuch-gegen-fremdbetreuung-133148.html

    oder auch hier: „Tyrannen müssen nicht sein“
    https://www.scm-shop.de/suchergebnis?q=michael+winterhoff&cat=

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