Licht und Schatten

Einen Großteil seines Schaffens hat der niederländische Maler Rembrandt van Rijn biblischen Motiven gewidmet. Sein Leben und Werk waren ein Wechselspiel von Hell und Dunkel. Der Theologe und Kunstkenner David Schnell erklärt im Gespräch, welchen Einfluss der Calvinismus auf den Maler hatte.
Von Norbert Schäfer
Rembrandt van Rijn

PRO: In dem Gemälde „Aufrichtung des Kreuzes“ stellt sich Rembrandt zu Füßen des Gekreuzigten selbst dar. Was sagt das über den Frömmigkeitsstil des Malers?

David Schnell: Rembrandt war überzeugter Calvinist. Gerade wenn er sich am Kreuzesstamm zeigt, ist er an einem wirklich zentralen Punkt, nicht nur der calvinistischen, sondern der gesamten protestantischen Lehre. Lucas Cranach hat dies in seinen Gemälden ebenfalls hervorgehoben. Das Kreuz ist das Zentrum von allem Erlösungshandeln Gottes. Da werden die Menschen befreit von dem, was sie verbrochen und falsch gemacht haben. Hier werden sie von dem Tod befreit, den sie eigentlich verdient hätten. Interessant ist allerdings auch die Auseinandersetzung Rembrandts mit seiner eigenen Person. Das war für die damalige Zeit etwas relativ Neues. Ein Künstler, der sich oft selbst porträtiert hat, quasi als Chronologie seines Lebens, sich als Gegenstand der Kunst betrachtet hat. Sehr anrührend bei Rembrandt ist, dass er sich durchaus nicht nur in vorbildhafter Pose darstellt, sondern auch mal sehr schreckhaft, manchmal fast ein bisschen ungelenk.

„Aufrichtung des Kreuzes“ (Ausschnitt, etwa 1633)

Welche Rolle spielte Religion sonst im Leben des Malers?

Die Niederlande waren sehr stark geprägt vom Protestantismus calvinistischer Färbung. Rembrandt konnte sich weder als Kind, noch als Heranwachsender diesem Einfluss entziehen. Im Zusammenhang mit Kunst sehen wir hier ein faszinierendes Kuriosum. Der Calvinismus brach – noch viel stärker als der lutherische Protestantismus – mit dem Umstand, dass Kunst für Kirchen gemacht wurde. Im Calvinismus war ganz klar, dass Bilder in Kirchenräumen verboten sind. Das war eine radikale Zäsur. Johannes Calvin hatte das Verbot aus den Zehn Geboten sehr ernst genommen, wo es heißt, man soll sich kein Bildnis machen von Gott und dem, was auf oder über der Erde ist und es nicht anbeten. Luther hingegen hat dieses Bilderverbot in seinem Katechismus der Zehn Gebote nicht als eigenes Gebot gezählt. Er hat Bilder, wie zum Beispiel von seinem Freund Lucas Cranach, verwendet, um seine Botschaft publik zu machen. Demgegenüber steht nach calvinistischem Verständnis die Wortverkündigung im Zentrum. Allein die Gegenwart von Bildern im Kirchenraum wurde als etwas Verführerisches empfunden.

Trotzdem hat Rembrandt viele biblische Motive gemalt. Wie kommt das?

Die Kirche als Hauptauftraggeber der Kunst war in den Niederlanden weggefallen. An ihre Stelle trat ein bürgerlicher Kunstmarkt in einer durch Fernhandel – den man leider auch als Beginn des Kolonialismus bezeichnen und somit höchst kritisch sehen muss – aufblühenden und wohlhabenden Gesellschaft. Die „Neureichen“ jener Zeit vergaben Aufträge für hochwertige Kunst, um ihren Status zu unterstreichen. Außerhalb der Kirche war es ausdrücklich erlaubt, auch von der calvinistischen Lehre her, biblische Motive darzustellen. Das wurde sogar gefördert, weil es – modern gesprochen – einen religionspädagogischen Hintergrund hatte und biblische Geschichten vermittelte. Diesen Kunstmarkt bediente Rembrandt in meisterhafter Manier. Mit Historien und Porträts verdiente der Sohn eines Müllers in Amsterdam gutes Geld. Typisch calvinistisch ist zudem, dass in Rembrandts Werken beide Teile der christlichen Bibel, also das Alte wie das Neue Testament, gleichwertig zur Geltung kommen. Vor allem in der lutherischen Tradition wurde das Neue Testament oft sehr viel stärker akzentuiert.

„Die Blendung Simsons“ (Ausschnitt, 1636)

Was macht aus Ihrer Sicht Rembrandts Darstellungen biblischer Szenen so reizvoll?

Einmal sind das die erdigen Farben. Nicht nur, aber auch durch sie verschwinden große Teile der Szenen im Schatten. Man erkennt eigentlich gar nichts richtig, muss sehr genau hinschauen. Der Künstler setzt zudem auf fast magische Art und Weise Licht ein. Einzelne Personen sind von Licht überflutet, während angrenzende Menschen nahezu im Dunkel verschwinden. Es bleibt dabei häufig offen, was die Lichtquelle ist. Rembrandts Spiel von Licht und Schatten ist faszinierend und zauberhaft.

Rembrandt stirbt 1669. Sein letztes Bild, „Simeon im Tempel“, bleibt unvollendet …

Das Bild ist das radikale Gegenprogramm zu dem, was Rembrandt in seinem letzten Lebensabschnitt erleben musste. Simeon, dem geweissagt wurde, er würde nicht sterben, bis er den Heiland der Welt gesehen hat, sagt nach dem Lukasevangelium: „Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“ Das ist die große Sehnsucht, die alle Menschen haben, auch wenn sie nicht religiös sind. Friedlich einschlafen und sterben. Rembrandts Lebensabend sah ganz anders aus. Er starb nach einer Insolvenz verarmt und sozial isoliert – auch wegen einer Affäre nach dem Tod seiner Frau. Die Sehnsucht, in Frieden sterben zu können, wurde Rembrandt leider nicht erfüllt.

„Das Hundertguldenblatt“ (Ausschnitt, circa 1646-1650)

Welches der Werke hat für Sie einen besonderen Reiz?

Es ist eine Druckgrafik, die schon zu Lebzeiten Rembrandts „Das Hundertguldenblatt“ genannt wurde und kommerziell erfolgreich war. Die Szene ist nicht eindeutig. Einige sagen, Jesus lässt die Kinder zu sich kommen. Andere sagen, Jesus heilt Kranke. Von rechts, wo alles dunkel ist, treten Menschen in die Szene hinein, zu Jesus hin. Sie sind gebückt in ihrer Haltung, traurig, beladen, beschwert. Jesus steht im Zentrum. Er ist sozusagen das Licht, die Lichtquelle. Man sieht nicht genau, was Jesus eigentlich macht. Er ist zumindest nicht sehr aktiv mit seinen Händen. Die Menschen gehen dann weiter nach links – an die rechte Seite von Jesus – und treten ins Licht, dort ist alles ganz hell. Die ganze Haltung dieser Figuren ist eine andere, sie stehen aufrecht. Man merkt, da ist etwas passiert mit den Menschen. Das hat Rembrandt ganz großartig dargestellt.

Vielen Dank für das Gespräch.

1631 zog Rembrandt als bereits namhafter Künstler in die pulsierende Metropole Amsterdam. 1634 heiratete er Saskia van Uylenburgh (1612–1642). Von den vier Kindern erreichte nur der Sohn Titus das Erwachsenenalter. Nach dem Tod der Frau wurde die Kinderfrau von Titus Rembrandts Geliebte, ab 1649 Hendrickje Stoffels. Weil sie unverheiratet schwanger geworden war, schloss die Kirche sie wegen „Hurerei mit dem Maler Rembrandt“ vom Abendmahl aus. Ab 1653 geriet der Maler zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten. Zur Tilgung seiner Schulden versteigerte Rembrandt seine Kunstsammlung, musste aber dennoch 1656 Konkurs beantragten. Sein Haus wurde zwangsversteigert. Am 4. Oktober 1669 verstarb der Künstler völlig verarmt in Amsterdam. Das Städel Museum in Frankfurt am Main widmet sich bis zum 30. Januar 2022 unter dem Titel „Nennt mich Rembrandt!“ dem weltberühmten Meister.


David Schnell Foto: Rolf Oeser

David Schnell, geboren 1970, hat evangelische Theologie in Frankfurt am Main und in Berlin studiert. Neben der Stelle als Gemeindepfarrer der St. Nicolai-Gemeinde im Frankfurter Ostend betreut der Kunstkenner die Evangelische Stadtkirchenarbeit am Museumsufer der Stadt und begleitet Ausstellungen in speziellen Führungen mit religiösen Inhalten, unter anderem im „Städel“.

Das Interview erschien im Christlichen Medienmagazin PRO, Ausgabe 6/2021. Das Heft können Sie kostenlos online bestellen oder telefonisch unter 0 64 41/5 66 77 00.

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