Leitkultur schützt vor Radikalen

Weil er sich bemüht hat, die deutsche Leitkultur zu definieren, soll Innenminister Thomas de Maizière (CDU) den Rechten in die Hände spielen. Das Gegenteil ist der Fall. Sein Vorschlag war lange überfällig. Ein Kommentar von Anna Lutz
Von Anna Lutz
Thomas de Maizière unter Beschuss: Sein Vorschlag für eine deutsche Leitkultur soll den Rechten in die Hände spielen

Der Begriff des christlichen Abendlandes ist viel bemüht in diesen Tagen. Und das, obwohl niemand weiß, was sich dahinter verbirgt. Die meisten Deutschen halten ihre kulturelle Heimat vermutlich nicht für das, was Pegida daraus gemacht hat: Ein Gebiet, in dem der Islam ausgerottet werden soll wie ein Krebsgeschwür, wie es auf Plakaten der Demonstranten heißt. Deshalb hat der Politikbeauftragte der Deutschen Evangelischen Allianz, Uwe Heimowski, Recht, wenn er Thomas de Maizières Bemühungen um eine Definition der deutschen Leitkultur lobt. Denn der Minister nimmt den Neurechten damit das Definitionszepter aus der Hand. Dramatisch ist, wie dessen Bemühungen quasi reflexartig vom politischen Gegner als rechtsgerichtet verschrien worden sind. Das Gegenteil ist der Fall.

Denn was hat der Minister überhaupt gefordert? Er schreibt in der Bild am Sonntag: „Über Sprache, Verfassung und Achtung der Grundrechte hinaus gibt es etwas, was uns im Innersten zusammenhält, was uns ausmacht und was uns von anderen unterscheidet.“ Und dieses Etwas sind seiner Meinung nach zehn Punkte, Werte, wenn man so will: Gesicht zeigen im Miteinander (statt Burka tragen). Allgemeinbildung fördern. Der Stolz auf die eigene Leistung. Das Bekenntnis zur deutschen Geschichte. Kultur und Philosophie. Religion, besonders das Christentum, als prägende Kraft der Gesellschaft. Konsens- sowie Mehrheitsprinzip in Verbindung mit Minderheitenschutz. Aufgeklärter Patriotismus. Das Bekenntnis zu Europa, der Nato und dem Westen. Ein Kollektives Gedächtnis für Orte und Erinnerungen, Traditionen und Mentalitäten in Deutschland. Ausdrücklich schreibt De Maizière auch, dass er diese Werte nicht als Bildungsziel etwa in Integrationskursen installieren will. Vielmehr wünscht er sich ein allgemeines Bewusstsein dafür, auch und gerade bei allen Versuchen der Integration von Migranten.

Das Grundgesetz reicht nicht

Die Gegner der ministerialen Leitkulturidee nennen nun vor allem zwei Argumente, um den Vorschlag zu entkräften und sich für die Wahl besser aufzustellen. Das Grundgesetz reiche als Richtschnur aus, verkündete etwa SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz und bemüht sich so, das Bild des Populisten, als der er bereits bezeichnet wurde, weiterzuzeichnen. Denn nichts anderes ist dieser Einwand, als Populismus. Natürlich weiß Martin Schulz, dass es Dinge außerhalb des Grundgesetzes gibt, die unser Land und unser Verständnis von Demokratie und Miteinander prägen.

Ansonsten gäbe es keinen Grund, Pegida oder die AfD in der Form zu torpedieren, wie er es selbst regelmäßig tut. Letztere nannte er bereits eine „Schande für Deutschland“, und das kann man beileibe so sehen. Aber wer ohne Leitlinien jenseits des Grundgesetzes auskommen möchte, der hat dazu eigentlich kein Recht, denn bisher zumindest bewegt sich die Partei im Rahmen der Verfassung.

Woher kommt also Schulz‘ Bauchgrummeln bei Petry und Co? Es rührt vom kollektiven Erinnerungsschatz her, dem Bekenntnis zur deutschen Geschichte und dem Verständnis von Minderheitenschutz in einer Mehrheitsgesellschaft – Dinge, die De Maizière in seinem Text formuliert hat. Werte und Normen, das weiß jeder Sozialwissenschaftler, entstehen nicht aus Gesetzen heraus. Sie werden in Gruppen gebildet und stehen informell neben dem formellen Recht. Und sie sind etwas völlig selbstverständliches. Warum ist es nicht erwünscht, Frauen auf der Straße hinterherzupfeifen oder Kinder anzuschreien? Das Grundgesetz erwähnt diese Dinge nicht, aber sie entsprechen nicht unseren Werten.

Burka ist menschenunwürdig

Als zweites Argument führen die Gegner der deutschen Leitkultur an, der Bild-Text bediene die Rechten, vor allem wegen des implizierten Burkaverbots. Dabei erklärte selbst die Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Aydan Özoguz, die Ablehnung der Burka bereits für gerechtfertigt. Es gibt einen breiten politischen Konsens zur Unerwünschtheit der Vollverschleierung. Doch bisher prägt sie das Straßenbild nicht, eine gesetzliche Regelung ist deshalb überflüssig. In einem Beitrag zu kulturellen Werten sollte sie gerade deshalb erstrecht Erwähnung finden und der Widerstand von SPD und Grünen dagegen ist schlicht nicht nachvollziehbar, folgt sie doch der eigenen Argumentation: „Klar ist: Die Burka diskriminiert Frauen, die sie tragen müssen, und verhindert ihre gleichwertige Integration in unsere Gesellschaft“, heißt es in einem Schriftstück der SPD-Fraktion aus dem Jahr 2010. Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir erklärte im vergangenen Jahr via Facebook „Für mich bleibt die Vollverschleierung und insbesondere die Idee dahinter menschenunwürdig“.

Zudem bedient eine solch differenzierte Sicht auf die deutsche Leitkultur, wie De Maizière sie vorgelegt hat, gerade nicht die Rechten, die ja vor allem davon leben, deutsche Werte zu verschlagworten und zu abstrahieren, bis sie nur noch aus „Vaterland“ und „Deutscher Arbeit“ bestehen. Wie wohltuend klingt dagegen eine Erinnerung an die deutsche Geschichte im Zusammenhang mit einer Leitkultur.

Letztere hat De Maizière ja übrigens nicht erfunden. Es gibt sie. Jeder hat eine andere Idee davon. Deshalb ist es in Zeiten vermehrter Migration notwendig, Sprachfähigkeit herzustellen. Eine klare Definition verhindert da Schlimmeres, zumal De Maizières Vorschlag als Debattenauftakt zu verstehen ist. Über Details mag man im Gespräch bleiben, und das hilft zig mal mehr weiter, als ein Drumherumwinden aus Sorge, eine Definition könne eventuell als nationalistisch interpretiert werden.

Übrigens erinnert der ganze Vorgang ein wenig an die Kirchen. Mit der Frage, was denn das Evangelium ist, können Sie einen Pastor womöglich ganz schön erschrecken. Sprachfähigkeit ist auch bei Christen ein Mangel und das ist fatal, denn sie schützt vor Fanatismus. Nicht anders ist es im Falle der Deutschen. (pro)

Von: al

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