Deutschland diskutiert, ob es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben gibt. Im Herbst will sich der Bundestag der Sterbehilfeproblematik widmen. Die ARD hat das Thema am Donnerstag in einer Talksendung aufgegriffen. Mit dabei war der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider.
Von PRO
Foto: NDR/Morris Mac Matzen
Wolfgang Kubicki, Frank Ulrich Montgomery, Nikolaus Schneider, Reinhold Beckmann, Gita Neumann und Hubert Hüppe (v.l.n.r.) diskutierten in der ARD-Sendung „beckmann“ über Sterbehilfe
Wer darf und soll darüber entscheiden, ob ein Mensch seinem eigenen Wunsch folgend aus dem Leben scheiden darf? Über diese Frage diskutierte am Donnerstagabend Reinhold Beckmann in seiner ARD-Talkshow „beckmann“ mit Nikolaus Schneider, dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, Hubert Hüppe, CDU-Bundestagsabgeordneter, Wolfgang Kubicki, dem stellvertretenden FPD-Bundesvorsitzenden und Gita Neumann vom Humanistischen Verband Deutschland.
Nikolaus Schneider hatte durch Äußerungen zur Sterbehilfe die Diskussion um die aktive Sterbehilfe befeuert. Er hatte gesagt, seiner krebskranken Ehefrau entgegen seiner eigenen religiösen Überzeugung unter Umständen beim Wunsch zu sterben beizustehen. „Die leitenden Bischöfe haben sich eigentlich alle an meine Seite gestellt“, sagte Schneider. Der einzelne müsse für sich eine Entscheidung fällen. Die Kirchen lehnen eine Beihilfe zum Suizid jedoch ab. Schneider wird im November sein Amt als EKD-Ratschef niederlegen, um Zeit für seine kranke Frau zu haben.
Zwei Drittel für aktive Sterbehilfe
Der Bundestag beabsichtigt im Herbst ein Gesetz auf den Weg bringen, das die Sterbehilfe regelt. Derzeit ist es verboten, aktiv Sterbehilfe zu leisten. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und der SPD sieht vor: „Zu einer humanen Gesellschaft gehört das Sterben in Würde.“ Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Bislang ist es in Deutschland verboten, einen Menschen auf Wunsch oder Verlangen hin zu töten, also aktiv Sterbehilfe zu leisten. Viele unheilbar kranke Menschen möchten ARD-Angaben zufolge das Ende ihres Lebens selbst bestimmen. In der Schweiz können Menschen dazu den Dienst einer Sterbehilfeorganisation in Anspruch nehmen. Umfragen zeigten, dass mehr als 66 Prozent der Deutschen für eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe seien.
Er nein, sie ja
Nikolaus Schneiders Frau Anne vertritt die Auffassung, dass man das „Leben als Geschenk Gottes auch zurückgeben“ könne und ist für Strebehilfe. Schneider warf die Frage auf: „Welcher Art ist die Verantwortung, die Gott uns gegeben hat, indem er uns das Leben gibt?“ Diese Verantwortung beziehe sich auf das Leben selber, auf die Erhaltung des Lebens. Verantwortung müsse immer lebensorientiert sein und dürfe nicht todesorientiert sein. Die Schwierigkeiten des Lebens müssten nach Auffassung des Ratsvorsitzenden durch Liebe überwunden werden, nicht durch Töten. Schneider rechnet derzeit nicht damit, dass es zum Äußersten kommt und er seine Frau zur Sterbehilfe in die Schweiz begleiten muss. Dennoch sagte er: „Ich werde ihr unsere Gemeinschaft der Liebe nicht verweigern.“
Die EKD habe in dieser Frage klar Stellung bezogen, dabei unterstrichen, „dass die persönliche, von der Liebe geprägte und in der Seelsorge zu verantwortende Entscheidung zu respektieren ist.“ Man dürfe Menschen nicht alleine lassen, oder ausstoßen, sondern solle an ihrer Seite sein. Die Assistenz beim Suizid müsse die Gesellschaft leisten, das Töten auf Verlangen sei eine Grenzüberschreitung, die nicht sein dürfe.
Wille zu Sterben Selbstbestimmungsrecht des Menschen?
„Ich möchte nicht die letzten fünf Jahre meines Lebens im Pflegeheim zu Tode gepflegt werden, ich möchte jetzt entscheiden, dass [mir] in einem solchen Fall […] geholfen wird, meinem Leben ein Ende zu setzen“, sagte der stellvertretende FPD-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki und griff das Selbstbestimmungsrecht des Menschen und die Menschenwürde auf. Kubicki lehnt ein striktes Verbot der Sterbehilfe ab. Im Sinne von Patientenverfügungen solle man Menschen erlauben zu definieren, wann sie wünschten, dass ihrem Leben ein Ende gesetzt wird. Sie sollten erklären können, wann lebensverkürzende Maßnahmen getroffen werden sollen.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe sagte zu dem geplanten Gesetzesentwurf: „Wir wollen nicht, dass damit Geschäfte gemacht werden.“ Menschen tendierten dazu, alles in ihrem Leben planen zu wollen. Es gebe auch keine perfekte Patientenverfügung, man „könne dem Schicksal nicht völlig entgehen“. Hüppe befürchtet einen „Automatismus“, der, sollte die Tür zur aktiven Sterbehilfe geöffnet werden, sozialen Druck auslöse.
Pille zum „Exit“ nicht von den Ärzten
Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, sagte, dass viele Schwerstkranke mit Suizidwunsch durch eine umfassende Aufklärung über Schmerztharpie und Palliativmedizien diesen Wunsch verlören. „Der Weg zum Arzt, um sich die Pille für den ‘Exit‘ zu holen“, ist aus Montgomerys Sicht der falsche Weg. Ärzte sollen Therapien begleiten. Die Diskussion würde auf einige wenige Fälle verengt. Bei der Tötung auf Verlagen sei die Grenze zur aktiven Euthanansie nicht mehr zu trennen. Aufgabe des Arztes sei es, das Leben zu erhalten. Stebehilfe dürfe keine Antwort auf Vereinsamung im Alter werden, erklärte der Mediziner. Montgomery warnte davor, die Abschaffung des Leidens mit der Abschaffung des Leidenden zu verwechseln.
Gita Neumann vom Humanistischen Verband Deutschland berät Patienten bei der Erstellung von Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten und sieht darin einen Prozess der Willensbildung, der von individuellen Umständen und Lebenssituationen abhängig ist und entsprechend fortlaufend angepasst werden sollte. Neumann hält es für bedenklich, wenn eine Organisation ausschließlich die Hilfe zum Suizid zum Ziel habe. (pro)
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