Es gibt diesen einen Samstagnachmittag im September, an dem Berlin – besser das Regierungsviertel – dem einem scheinbar immer gleichen Muster folgt. Grund sind die Lebensschützer, die sich zum jährlichen „Marsch für das Leben“ in der Hauptstadt versammelt haben.
Noch bevor sich die Lebensschützer östlich des Brandenburger Tors treffen, versammeln sich ein paar Hundert Gegner auf der anderen Seite des Wahrzeichens, um für Selbstbestimmung, und „gegen Bevormundung“ zu demonstrieren. Pünktlich zum Start des „Marsch für das Leben“ endet diese Veranstaltung. Einzelne bleiben vor Ort, um mit Rufen die Lebensschützer zu stören.
Wie auch in den Vorjahren ist der Platz des 18. März weitläufig von der Polizei abgesperrt und es gibt nur einzelne Kontrollpunkte. Wer nach Gegenprotest aussieht, wird nicht hereingelassen. Dennoch gelingt es erneut wenigen, sich unter die Lebensschützer zu mischen. Die einzelnen Buh-Rufe lässt die Polizei ohne Eingreifen gewähren – wahrscheinlich auch, weil zwischen den Rufen eine gesittete Diskussion zwischen Demonstranten und Gegendemonstranten stattfindet. Als dann aber eine rosa Rauchfackel gezündet wird, werden die Störer schnell aus dem Verkehr gezogen.
Gegen Abtreibung und assistierten Suizid
Gleich ist auch der Gegenprotest am Rande der Veranstaltung, wenn auch in diesem Jahr zahlenmäßig etwas größer. „My Body, my Choice, raise your voice“ (Mein Körper, meine Entscheidung, erheb‘ deine Stimme), „Hätt‘ Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben“ oder „Kondome, Spirale, Linksradikale“ sind auch in diesem Jahr die bevorzugten Sprechchöre.
Bei der Kundgebung forderte die Vorsitzende des Bundesverbandes für Lebensrecht, Alexandra Maria Linder, ein Ende der „frauenfeindlichen Politik“ in Deutschland. „Wenn staatlich finanzierte Beratungsorganisationen selbst an Abtreibung Geld verdienen und Kinder vor der Geburt als Gebärinhalt bezeichnen, dann werden die Frauen belogen, und Hilfe wird ihnen verweigert.“ Man müsse diesen Frauen beistehen.
Zudem forderte Lindner von den Teilnehmern, sich „Lebens-Oasen“ zu schaffen, an denen der absichtlich herbeigeführte Tod keinen Zugang habe. Das gelte nicht nur mit Blick auf Abtreibung, sondern auch auf assistierten Suizid.
Im Anschluss sprachen der Direktor der niederländischen Organisation „Schreeuw om Leven“ (Schrei nach Leben), Arthur Alderliesten, über das Thema Abtreibungen in den Niederlanden und der geschäftsführende Direktor der kanadischen „Euthanasia Prevention Coalition“ (Koalition zur Euthanasie-Prävention), Alex Schadenberg. Dieser warnte vor den Zuständen in seinem Land. Dort sei die Euthanasie aus dem Ruder gelaufen. Häufig würden Menschen den Tod wählen, die obdachlos, einsam oder depressiv sind.
Erfolglose Sitzblockaden
Anschließend folgt alles wieder dem fast gleichen Muster. Die, laut Polizeiangaben, rund 2.000 Teilnehmer setzen sich zu ihrem Marsch durchs Regierungsviertel in Bewegung. Ähnlich wie im vergangenen Jahr erneut nicht als Schweigemarsch. Aus einem Lautsprecher schallt diesmal aber Popmusik. Manche Teilnehmer stimmen dennoch unbeirrt christliche Klassiker wie „Groß ist unser Gott“ an.
An der Aufzugstrecke gibt es wesentlich mehr Protest als im vergangenen Jahr – bei gleichbleibenden Parolen. Mehrfach versuchen Gegendemonstranten, die Strecke mit Sitzblockaden zu versperren – ohne Erfolg. Die Polizei marschiert mit dutzenden Einsatzkräften einige hundert Meter vor den Lebensschützern.
Gleich sind auch die verwunderten Touristen, die von der Polizei wissen wollen, wofür gerade demonstriert wird. „Irgendwas mit Abtreibung“ ist mehrfach als Antwort zu hören.
Keine Demonstration beim Holocaust-Mahnmal
Als der „Marsch für das Leben“ am Denkmal für die ermordeten Juden Europas vorbeizieht, wollen erneut Gegendemonstranten mit Plakaten und Sprechchören gegen die Lebensschützer Stellung beziehen. Anders als im Vorjahr ist jedoch ein Mitarbeiter des Mahnmals vor Ort und verweist sie lautstark des Platzes. Es handele sich um ein Denkmal, auf dessen Gelände nicht demonstriert werden dürfe.
Erstmals fand der „Marsch für das Leben“ parallel auch in Köln statt. Auch dort kam es zu Protest gegen die Lebensschützer.