Analyse

Lausanne gibt Raum für Feedback zu „Seoul Statement“

In Seoul treffen sich aktuell Christen aus aller Welt, um über Mission zu sprechen. Dazu veröffentlichte die Lausanner Bewegung das „Seoul Statement“ – als fertiges Dokument. Nach Kritik von Teilnehmern bitten die Verantwortlichen nun um Feedback.
Von Nicolai Franz

Seit ihrer Gründung hat die Lausanner Bewegung entscheidende Impulse für die weltweite Mission gegeben. Insbesondere durch Dokumente, die im Umfeld der Kongresse entstanden waren. Der wichtigste Text der Bewegung, die „Lausanner Verpflichtung“, war 1974 unter Federführung des anglikanischen Theologen John Stott entstanden. Sie gilt nicht nur als Antwort auf liberale Missionsverständnisse und als Aufruf zur globalen Zusammenarbeit, sondern auch als eine Beschreibung dessen, was das evangelikale Christentum ausmacht – ungeachtet der Eigenarten der unterschiedlichen Kirchen.

Es folgten das „Manila Manifest“ (1989) und das „Cape Town Commitment“ („Kapstadt-Verpflichtung“, 2010). Aktuell trifft sich die Lausanner Bewegung mit 5.000 Teilnehmern im südkoreanischen Incheon bei Seoul – und auch hier ist ein Dokument veröffentlicht worden. 

Das „Seoul Statement“ will nicht nur der Alliterationen der Vorgängerdokumente treu bleiben, sondern auch ihrem Inhalt. Das Statement baue auf den bereits erschienenen Wortmeldungen auf, so die theologische Arbeitsgruppe, die das fast 79.000 Zeichen lange Dokument erarbeitet hat. Über mehrere Jahre hatten die Verantwortlichen Gespräche mit christlichen Leitern auf der ganzen Welt geführt. 

„Seoul Statement“ gibt Orientierung in ethischen Fragen

Der größere Teil des Ergebnisses aus diesem Gesprächsprozess ist der „State of the Great Commission Report“ (SOGCR), also der „Bericht über Stand des Missionsauftrags“ – ein mehr als 500 Seiten starkes Dokument, das als Arbeitshilfe und Inspiration für missionarisch gesinnte Christen gedacht ist. Und als Grundlage, um auf dem Seoul-Kongress die internationale Zusammenarbeit zu fördern, vor allem in den Bereichen, in denen es noch „Lücken“ gibt.

Vieles in dem Statement findet sich auch in vorigen Dokumenten, es werden aber auch aktuelle Themen angesprochen, zum Beispiel das Thema Geschlechtsidentität (ab Punkt 56), Gentechnologien (93), Künstliche Intelligenz (94) und der Einsatz von und der Umgang mit digitalen Technologien im Allgemeinen. Zudem klärt das Dokument Fragen zum Verständnis der Bibelauslegung und des Evangeliums.

Das „Seoul Statement“ wollen die Lausanne-Theologen allerdings eher als Begleittext zum „SOGCR“ verstanden wissen – und nicht als Diskussionsgrundlage für eine Abschlusserklärung, über die die Teilnehmer am Ende abstimmen. Das löste bei Teilen der Besucher Irritationen aus: Muss man dem Dokument zustimmen? Was ist, wenn einem Inhalte fehlen, die einem wichtig sind? Wo kann man Rückmeldung geben?

„Das ist das finale Dokument“, sagte ein Sprecher am Montag auf einer Pressekonferenz auf die Frage, ob noch Änderungen möglich seien. Offizielle Feedback-Kanäle gab es nicht, dennoch äußerten Delegierte ihre Meinung, darunter ein offener Brief von Vertretern der „Korean Evangelicals Embracing Integral Mission“. „Integrale Mission“ meint die Überzeugung, dass soziale Verantwortung und Evangelisation untrennbar zu Mission gehören und keine Seite überbetont werden darf.

Der offene Brief, den bis Freitagmorgen 235 Personen unterzeichnet hatten, kritisiert Lausanne darin in Bezug auf das „Seoul Statement“: Der Entstehungsprozess sei nicht transparent gewesen, zudem fehlten wichtige Punkte wie der Umgang mit dem Klimawandel, „LGBTQ+“-Themen würden über- und das Leid der Palästinenser unterbetont. Des Weiteren fordern die Unterzeichner unter anderem eine Verurteilung von Unternehmen der Rüstungsindustrie, Rassismus, Patriarchat und Fremdenfeindlichkeit. 

Lausanne bittet um Feedback zum „Seoul Statement“

Die Leitung der Lausanner Bewegung reagierte am Freitagmorgen mit einer Erklärung, die an alle Teilnehmer verschickt wurde – und öffnete den Raum für Feedback zum diskutierten Dokument. Das „Seoul Statement“ beschäftige sich mit wichtigen theologischen Themen, die die theologische Arbeitsgruppe identifiziert habe. „Diese Themen sind nicht die einzigen, die in Zukunft im Mittelpunkt stehen werden“, erklärte Kommunikationsleiter Mike du Toit. „Das Seoul Statement geht von Themen aus, die von der Kapstadt-Verpflichtung her noch immer Priorität haben oder die in den Lausanner ‚Occasional Papers‘ und anderen Ressourcen behandelt wurden, und baut darauf auf.“

Lausanne sei sich bewusst, „dass wir bei der Einführung der Erklärung von Seoul ihren Zweck und die Art und Weise, in der die Teilnehmer aufgefordert sind, sich mit ihr zu befassen, deutlicher hätten darlegen sollen“. Die Teilnehmer können nun in einem Formular ihre Rückmeldung zum „Seoul Statement“ geben. 

Was mit den Rückmeldungen geschieht, ist noch nicht klar. „Natürlich hätte es sowieso Feedback gegeben, und wenn man es formalisiert, dann gibt es die Erwartung, was man mit dem Feedback macht, und das ist es, womit der Lausanner Vorstand ringen wird“, sagte Ivor Poobalan gegenüber „Christianity Today“. Poobalan, Rektor des „Colombo Theological Seminary“ in Sri Lanka, leitet die theologische Arbeitsgruppe der Lausanner Bewegung zusammen mit Victor Nakah aus Simbabwe, dem internationalen Direktor für Subsahara-Afrika des presbyterianischen Werks „Mission to the World“.

Biblischen Kontext berücksichtigen

Es ist das erste Mal, dass die theologische Arbeitsgruppe von zwei Theologen des globalen Südens geleitet wird. Die Lausanne-Leitung habe gemerkt, dass die drei Vorgänger-Dokumente in einer neuen Generation von Christen unbekannt seien. „Stattdessen sind sie mit aktuellen Problemen konfrontiert“, so Poobalan. 

Zum Beispiel sei die Anthropologie (die Lehre über die Frage, was der Mensch ist) erst im 21. Jahrhundert wichtig geworden. „Daher war es für uns wichtig, einige dieser Themen anzusprechen. Wir ersetzen nicht die früheren Dokumente, aber wir versuchen, Wege zu finden, wie wir den Wert dessen, wofür Lausanne steht, erhöhen können, indem wir einige spezifische Richtlinien bereitstellen, die der globalen Kirche helfen, schwierige Themen zu bewältigen.“ 

Wichtig sei zudem die Frage nach der Hermeneutik, also wie die Bibel gelesen werden sollte, so Victor Nakah. Die Autoren werben im „Seoul Statement“ für eine Lesart des Alten und Neuen Testaments, die den historischen und gesamtbiblischen Kontext und die literarische Form der biblischen Texte berücksichtigt.

Nakah fügte an, dass die Reaktionen der Teilnehmer ein „genaueres Bild von der theologischen Vielfalt der globalen evangelikalen Welt“ zeigen würden. „Aber all diese Gespräche sind ein gutes Feedback.“

Klar scheint, dass der Text des „Seoul Statements“ während des Kongresses nicht verändert wird. Was danach geschieht, wird die Lausanne-Leitung entscheiden. Womöglich nimmt das „Seoul Statement“ den Weg der „Kapstadt-Verpflichtung“ von 2010: Damals war das Dokument ebenfalls nicht während des Kongresses geändert und verabschiedet worden, sondern nur ausgeteilt. Basierend auf dem Feedback der Teilnehmer im Anschluss an die Konferenz hatte Lausanne dann die endgültige Version präsentiert – „viel später“, wie Poobalan erklärte.

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