Landesbischof Fischer: Verantwortung tragen, ohne sich selbst zu übernehmen

Im Gottesdienst zum Bundesparteitag der CDU hat Landesbischof Ulrich Fischer am Montag über den Bibelvers "Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde" (Offenbarung 21,1) gepredigt. Dabei sprach er den versammelten Delegierten zu: "Wer sich an dem von Gott verheißenen Letzten ausrichtet, kann für das Vorletzte Verantwortung übernehmen, ohne sich selbst zu übernehmen." pro veröffentlicht die Predigt – leicht gekürzt – im Wortlaut.

Von PRO

Liebe Schwestern und Brüder,

die Terminierung eines Bundesparteitags erfolgt gewiss nicht nach dem kirchlichen Kalender. Aber nun haben Sie einmal Ihren Bundesparteitag in die vorletzte Woche des Kirchenjahres gelegt und damit in eine Zeit, in der Fragen der Vergänglichkeit des Lebens wie der Hoffnung auf die von Gott geschenkte Zukunft in seinem ewigen Reich im Mittelpunkt des Nachdenkens und des gottesdienstlichen Feierns der christlichen Kirchen stehen. Und so ist auch der Bibeltext aus dem letzten Buch der Bibel nicht willkürlich für diesen Gottesdienst gewählt, sondern ergibt sich aus der fortlaufenden Bibellese zum Schluss des Kirchenjahres. Mögen Sie erkennen, wie sinnvoll und wie orientierend diese Textwahl sein kann.

Sie werden auf Ihrem Parteitag Fragen von großer politischer Aktualität behandeln: Die Reform unserer Bundeswehr wird ebenso auf Ihrer Tagesordnung stehen wie das Resümieren der Tätigkeit der von Ihnen geführten Bundesregierung ein Jahr nach den letzten Wahlen und wenige Monate vor den Wahlen in unserem Bundesland Baden-Württemberg. Konsequenzen aus der Wirtschafts- und Finanzkrise, die wir nur scheinbar hinter uns und längst noch nicht überwunden haben, werden Sie ebenso beschäftigen wie drängende Fragen der Gesundheits- und Sozialpolitik. Die höchst strittige Entscheidung über die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik steht an und wird in Ihren Beratungen sicherlich nicht unbeachtet bleiben. Und ganz gewiss werden auch Stuttgart 21 und die sich aus den Auseinandersetzungen der letzten Wochen für die Zukunft unserer Demokratie ergebenden Fragestellungen auf Ihrem Bundesparteitag eine Rolle spielen. Sie werden sich also mit vielen aktuellen, in der Gegenwart anstehenden und für die Zukunft unseres Landes wichtigen Fragen beschäftigen.

Und dann diese Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, erschaffen von Gott am Ende aller Zeiten. Diese Verheißung weitet den Horizont. Sie lässt auf das Letzte schauen und hilft damit, all das, was Sie in diesen Tagen beschäftigen wird, als etwas Vorletztes zu erkennen. Sie wollen nachhaltige Politik gestalten. Sie wollen nicht nur über das Heute und das Morgen reden. Sie wollen für das Übermorgen und die ferne Zukunft Vorsorge treffen. Nachhaltigkeit in der Politik, das ist Ihnen aufgetragen. Und dennoch dürfen und sollen Sie wissen: All das, was Sie beraten und planen, nimmt doch stets nur das Vorletzte in den Blick, denn das Letzte ist menschlicher Verfügung entzogen, ist allein Gottes Werk. Im Horizont des Letzten, das Gott allein vollenden wird, das Vorletzte realistisch in den Blick nehmen,
 in Vorfreude auf dieses Letzte Mut gewinnen, dem Vorletzten nicht ausweichen, 
in der Ausrichtung auf dieses Letzte das Vorletzte kraftvoll angehen, 
darauf kommt es an. Das Wissen, dass die letzte Vollendung der Welt menschlichem Wirken entzogen ist, macht gelassen. Dieses Wissen befreit zur Sachlichkeit. Nicht um das Heil der Welt geht es in politischer Arbeit, sondern um das Wohl der Menschen und der Schöpfung Gottes. Der große Theologe Dietrich Bonhoeffer hat uns diese wichtige Unterscheidung von Letztem und Vorletztem eindrücklich in Erinnerung gerufen. Und er hat mit seinem Wirken im Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime gezeigt, wie das unbeirrte Hoffen auf das Letzte, das kommt, wenn Gott alles neu machen wird, Kraft gibt, das Vorletzte, nämlich das politisch Notwendige mutig anzugehen und zu wagen. Wer sich an dem von Gott verheißenen Letzten ausrichtet, kann für das Vorletzte Verantwortung übernehmen, ohne sich selbst zu übernehmen.

Zum Schluss eine Bemerkung: Betrachten Sie die wunderbare Kantate, die unsere Predigt heute rahmt und gliedert, als ein Geschenk zu Ihrem Bundesparteitag. Johann Sebastian Bach hat zu dieser Kantate vermerkt, sie sei nicht an einem bestimmten Sonntag zu musizieren, sondern „zu jeder Zeit“, also auch zur Zeit eines Bundesparteitags, auch wenn es einen solchen zu seiner Zeit noch nicht gab. „Jauchzet Gott in allen Landen“ – diese Kantate ist ein einziger jubelnder Dank für Gottes Beistand. Nehmen Sie diese Musik als Ausdruck Ihres Dankes für Gottes Beistand in Ihrem Tun für das Vorletzte in dieser Welt. Und die Kantate mündet mit dem nun gleich erklingenden Schlusschoral in eine Bitte um Gottes künftige Treue. Eine solche Bitte steht einer Partei gut an, die das C in ihrem Namen trägt. Und eine solche Bitte ist angemessen angesichts der Größe der Aufgaben, die Sie zum Wohl unseres Landes wahrzunehmen haben und angesichts des letzten Ziels, das Gott Ihnen und aller Welt verheißen hat:


Gott woll in Ihnen mehren, was er aus Gnaden hat verheißt,

dass Sie ihm fest vertrauen, gänzlich sich lass’n auf ihn,

von Herzen auf ihn bauen, dass Ihr Herz, Mut und Sinn

ihm festiglich anhangen; drauf sage ich zur Stund:

Amen, Sie mögen’s erlangen, glaub’n Sie aus Herzensgrund. Amen. (pro)

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