Filmkritik

Kunterbunter Tod

Pedro Almodóvars neuer Film „The Room next Door“ ist ein Ruf nach legaler Sterbehilfe. Der Starregisseur zeigt den Tod in kunterbunten Farben. Als wäre Leid nur eine Nebensache.
Von Anna Lutz

Selten war der Tod so schön anzuschauen: Im nun in den deutschen Kinos anlaufenden Drama „The Room next Door“ bittet Martha (Tilda Swinton) ihre Freundin aus früheren Zeiten, Ingrid (Julianne Moore), ihr beim Sterben zu helfen. Martha ist unheilbar an Krebs erkrankt. Gemeinsam reisen die Freundinnen auf ein abgelegenes Anwesen im Wald, damit Martha nicht alleine sterben muss. Denn Martha hat sich aus dem Internet eine Selbstmordpille organisiert, mit der sie Schmerz und Leid zuvorkommen und sich selbst zu einem Zeitpunkt ihrer Wahl das Leben nehmen will. Ingrids Aufgabe: Sie soll im Raum nebenan sein, wenn es geschieht. Das ist im doppelten Sinne heikel: Erstens plagt die Schriftstellerin Ingrid von jeher eine schreckliche Angst vor dem Sterben. Zweitens ist Suizidassistenz im Staate New York illegal.

Es ist ein Plot, der einen zunächst nicht unbedingt ins Kino ziehen mag: Sterben, Krebs, Leid, auch noch auf der großen Leinwand, da können sich die meisten Kinogänger wohl Angenehmeres vorstellen. Doch der Film von Starregisseur Pedro Almodóvar ist alles andere als trist und traurig. Wäre sein Werk ein Laufsteg, dann lautete das Thema Color-Blocking. Alles leuchtet in bunten Farben: Grüne Blätter, braune Baumstämme, bunte Liegen auf der Veranda des Hauses, rote, gelbe und bunt gestreifte Kleider, rot geschminkte Lippen und der blaue Himmel. Sogar die Tür zu Marthas Sterbezimmer ist knallrot.

Ab 24. Oktober im Kino: „The Room next Door“

Die Bilder in „The Room next Door“ erzählen nicht vom Tod, sondern vom Leben. Auch klammert Almodóvar das Leiden nahezu gänzlich aus. Martha ist zwar von ihrer Krankheit gezeichnet, dennoch bereitet sie Frühstück, packt ihre Kleidung ein und aus, unternimmt sogar kurze Waldspaziergänge, wenn auch unter Anstrengung. Sie habe keine Angst vor dem Tod, sagt sie nach einem anfänglichen Tief kurz nach der schrecklichen Diagnose. Und spricht fortan darüber, als gehe es um die Planung des nächsten Urlaubs.

Es geht um Selbstbestimmung

Dieser Beiläufigkeit kann der Zuschauer zumindest auf den ersten Blick viel abgewinnen. Doch die Botschaft, die der Film damit auch bereithält, ist tückisch: Sterben ist einfach nur ein Teil des Lebens und noch im Tod soll der Mensch ebenso gestaltungsfähig sein wie zu seinen vitalsten Zeiten. Selbstbestimmung ist das, was Martha sich wünscht und das, was Almodóvar fordert. Doch wie trügerisch ist diese Idee. Niemand ist vor Leid geschützt. Und die wenigsten Menschen sind wohl in der Lage oder willens, ihre letzten Tage in einem bunt strahlenden Luxushaus in der Pampa zu verbringen.

So wird die Stärke des Films zu seiner Schwäche: Seine bunten Farben verleiten zu der Idee, dass Leid gar nicht existiert oder dass der Mensch ihm aus dem Weg gehen könne. Und ist nicht genau das die Krux bei allen Debatten über die Legalisierung von Sterbehilfe? Dass die Befürworter allzu oft erklären, der Mensch habe das Recht, selbst über seinen Tod zu bestimmen? Obwohl das doch eine Illusion ist. Wer weiß schon, ob Kraft, Mittel oder die ablaufende Zeit das zulassen, selbst wenn Medikamente und Rechtslage dies gewährten. Und nicht zuletzt: Was geschieht in einer Welt, in der ein selbstbestimmter Tod ohne Leid zum Normalfall erklärt wird, mit jenen, die diese Art der Selbstbestimmung nicht wählen? Wer wäre dann noch bereit, deren Leid auszuhalten und mitzutragen?

Es ist eine zutiefst christliche Idee, dass das Leben auch schwer, ja kaum auszuhalten sein kann. Und dass genau im Angesicht des Leids Gott hält, auffängt und trägt. Almodóvar setzt an die Stelle Gottes das Ich. Seine Protagonistin Martha ist eine ehemalige Kriegsreporterin, die sich ihr ganzes Leben lang im Angesicht des Todes durch Krisen(gebiete) gekämpft hat. Für sie ist der Tod nur eine weitere Krise, im Vergleich zum Weltleid aber doch eher eine Lappalie.

Was ist der Mensch wert?

Auch Ingrid ertappt sich bei solcherlei Gedanken, etwa im Gespräch mit einem Autorenfreund, der in seinen Büchern die Klimakrise und das Artensterben anprangert. Was ist der Mensch nur wert, verglichen mit dem, was er zerstört? Ingrid setzt dem die Hoffnung entgegen, die sie immer habe und die jeder brauche. Dennoch wirkt diese Hoffnung im Vergleich zum Fatalismus Marthas wie eine Schwächere. Als rühre daher Ingrids Angst vor dem Tod.

Die Haltung des Films wird besonders gegen Ende deutlich, als ein überambitionierter Polizist Ingrid in die Enge treibt, sodass sie sich gezwungen sieht, eine Anwältin zu engagieren. Diese stellt fest, der Beamte sei ein „religiöser Fanatiker“, womit seine ablehnende Haltung zur Sterbehilfe ausreichend erklärt sein soll. Es mag kaum überraschen, dass Regisseur Almodóvar Religion kritisch gegenübersteht. Als Kind besuchte er katholische Schulen, erklärte später, die Strenge der Mönche habe ihm den Glauben an Gott genommen.

Pedro Almodóvar in Venedig

Beim Filmfestival in Venedig gewann „The Room next Door“ jüngst den Hauptpreis, den Goldenen Löwen. Zunächst ist das nachvollziehbar: Die beiden Hauptrollen sind wie auf die Leiber der Darstellerinnen geschrieben. Die Bilder des Films sind von außergewöhnlicher Schönheit. Und Almodóvar, der sich darauf spezialisiert hat, große Frauengeschichten zu erzählen, gelingt es einmal mehr, seine Protagonistinnen inhaltlich wie optisch perfekt auszuleuchten. Kurz: „The Room next Door“ ist ein betörender Film. Doch nur auf den ersten Blick.

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