„Kunstfreiheit ist bedroht“

Matthias Politycki sieht die Kunstfreiheit durch Identitätspolitik bedroht. Das hat der Schriftsteller am Donnerstag auf der Buchmesse in Frankfurt am Main erklärt. Widerspruch kam von seiner Kollegin Jagoda Marinić. Jeder Autor könne selbst entscheiden, ob er etwa gendere oder nicht.
Von Anna Lutz

Bringt Identitätspolitik die Kunstfreiheit in Gefahr? Wo sonst könnte diese Frage diskutiert werden, wenn nicht auf der Frankfurter Buchmesse? Verlegerin Antje Kunstmann, die deutsch-kroatische Autorin Jagoda Marinić und Schriftsteller Matthias Politycki stritten dort darüber, ob in der deutschen Verlagslandschaft eigentlich noch frei geschrieben werden darf. Für Politycki lautet die Antwort nein: Die Kunstfreiheit sei in Deutschland bedroht. Erst jüngst hatte der Autor von Bestsellern wie „Weiberroman“ für Furore gesorgt, weil er öffentlich erklärte, nach Österreich ausgewandert zu sein. In Deutschland fühle er sich in seiner Sprache eingeschränkt.

Am Donnerstag in Frankfurt rief er zu Widerstand gegen die Verordnung bestimmter Sprachbilder durch eine Identitätspolitik auf: „Wenn wir uns dagegen nicht wehren, dann Amen für eine demokratische Gesellschaft.“ Als Linker unterstütze er eigentlich viele Thesen der politischen Korrektheit, sehe sich jetzt aber an einem Punkt angekommen, wo sein „Arbeitsmaterial beschädigt“ werde. Es schmerze ihn, wenn Kollegen keine Romane mehr veröffentlichen könnten, in denen das Wort „Indianer“ vorkomme oder ein Weißer keine Biografie über den afro-amerikanischen Sänger Marvin Gaye veröffentlichen dürfe. „Unter dem Schlagwort ‚offene Gesellschaft‘ sind wir ganz schön intolerant geworden“, sagte Politycki, und weiter: „Wir müssen reisen und wir müssen auch als Weiße über Länder schreiben, in denen Schwarze leben.“

Ihn störe zudem, dass die sogenannte gendersensible Sprache schlicht inkorrektes Deutsch sei. Er halte es für nicht emanzipatorisch, dass Frauen Aufmerksamkeit zukommen solle, indem die Endung *innen einfach an Worte angehängt werde. Verklausulierungen machten einen Text schwerfällig, dabei sei die deutsche Sprache wunderbar dazu geeignet, kraftvoll benutzt zu werden. Er selbst sehe sich zwar nicht als Opfer, halte es aber für „unwürdig“, dass er aufgrund seiner Sprache und unabhängig vom Inhalt in die rechte oder linke Ecke gedrängt werde.

„Alle ein bisschen die Drehzahl runterschrauben“

Zustimmung kam von Verlegerin Antje Kunstmann: „Wir kommen an die Grenzen dessen, was sprachlich machbar ist“, erklärte sie und beklagte Angriffe und Störaktionen bei Autorenlesungen und Empörungsstürme in Sozialen Medien. Es sei richtig, dass Schriftsteller sich um eine sensible Ausdrucksweise bemühten. Druck von außen auf die Verlage durch eine „Sprachpolizei“ lehne sie aber ab.

Widerspruch kam von der deutsch-kroatischen Autorin Jagoda Marinić. Jedem Autor stehe es frei, zu gendern oder eben nicht. Am Ende werde man sehen, was sich in der Sprache langfristig durchsetze. Bei der Frage, ob ein weißer Autor über Afrika schreiben dürfe, gehe es weniger um die Identität des westlichen Schriftstellers. „Es geht darum: Wie offen ist ein Betrieb für Stoffe von Schwarzen oder aus Afrika? Oder wollen wir nur die weiße Brille haben?“, so Marinić. In einem waren sich alle Debattierenden schließlich einig: Diskurs will gelernt sein. Oder wie Marinić es sagte: „Alle ein bisschen die Drehzahl runterschrauben und lernen, eine plurale Demokratie zu sein.“

Dabei macht die Buchmesse selbst derzeit ihre negativen Erfahrungen mit der Identitätspolitik. Mehrere Autoren hatten dagegen protestiert, dass auch rechte Verlage als Aussteller zugelassen sind, und ihre Teilnahme abgesagt. Ins Rollen gebracht hatte die Kontroverse die Internet-Aktivistin Jasmina Kuhnke, die insbesondere die Teilnahme des Verlags „Jungeuropa“ kritisierte.

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Eine Antwort

  1. Das liest sich ja wirklich wie eine Realsatire.
    Forderung der pluralen Demokratie, Vorwurf der Intoleranz eben durch die offene Gesellschaft, Absage am Diskurs wegen Teilnahme von rechten Verlagen.
    Wie soll das gelöst werden?!

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