Dinge, die eigentlich zum Leben und zur Erlösung führen sollen und die Freude des Christseins ausmachen, können leicht verdreht und als Machtmittel benutzt werden. Dies sei dann die Basis für geistlichen Missbrauch. Davor hat die Therapeutin Hannah Schulz im Rahmen des Christlichen Gesundheitskongresses gewarnt. „Das ist der Giftstachel. Was uns ganz kostbar ist, wird zum Missbrauch genutzt.“ Christliche Lehren und Werte würden erstellt und als Machtmittel eingesetzt. Schulz betonte, dass geistlicher Missbrauch oft in den drei Stufen Vernachlässigung, Manipulation und Gewalt stattfinde. Außerdem geschehe dieser immer in Systemen.
Täter arbeiten mit Verlockungen
In diesem System gebe es Opfer und Täter sowie in den meisten Fällen Beobachter und Mitwisser. Das System werde oft von einer Art Kitt zusammengehalten. Das könnten auch christliche Idole sein, denen „Menschen gemeinsam dienen“. Schulz stellte die Frage: „Was bringt Gläubige dazu, sich manipulieren und ausnutzen zu lassen?
Dabei spielten sowohl in der Eins-zu-Eins-Beziehung als auch bei Missbräuchen in Gruppen Sehnsüchte des Opfers eine Rolle, die ein Täter vermeintlich erfülle. Oft seien aber auch Existenzängste, falsche Glaubenssätze und Vertrauen nach Bindung auf Seiten der späteren Opfer ausschlaggebend. Die Täter hätten oft narzisstische Persönlichkeitsstrukturen und arbeiteten mit Verlockungen: „Charismatische Persönlichkeiten sind nicht immer die besten Leiter“, erklärte Schulz.
Manche Begriffe müssen bereinigt und neu besetzt werden
Geistlicher Missbrauch habe auch immer eine mentale Komponente. Christliche Wahrheiten würden verdreht, biblische Begriffe umgedeutet. Es komme zu Übertreibungen, christlichen Patentrezepten und Machtspielen, erklärte Schulz. „Das hat Gott mir für dich aber im Gebet gezeigt“, sei einer dieser typischen Sätze, mit denen Gefühle und Bedürfnisse weggebetet würden. Versteckt dahinter seien „immer Wahrheiten, an die wir glauben“.
In der aktuellen Debatte um Missbrauch innerhalb der Katholischen Kirche sehe sie gerade viel Bewegung. In der persönlichen Aufarbeitung des Einzelnen müssen Begriffe wie Vergebung und Treue oft bereinigt und neu besetzt werden: „Wir müssen Menschen helfen, sich Begriffe neu anzueignen.“ Dabei sei es eine große Gratwanderung, sich um die Bedürfnisse der Missbrauchsopfer zu kümmern und die Menschen in eine neue Freiheit zu führen.
Der 7. Christliche Gesundheitskongress mit über 600 Teilnehmern steht unter dem Motto: „Du bist es wert: Menschen Würde Achten“. Dabei geht es bis Samstag in verschiedenen Seminaren und Referaten um christliche Ethik und Menschenwürde im Gesundheitssystem.
Von: Johannes Blöcher-Weil