„Man muss jeder Redaktion, die kritische Artikel über die Evangelisation schreibt, Pralinen schicken.“ Zu dieser Erkenntnis ist der deutsche Evangelist Ulrich Parzany am Donnerstag auf der Allianzkonferenz in Bad Blankenburg gekommen. Er erinnerte in einem Seminar an den am 21. Februar verstorbenen amerikanischen Pastor Billy Graham. Parzany erzählte von ihren gemeinsamen Erlebnissen, von Grahams Auftritten in Deutschland und davon, was Evangelisten heute von ihm lernen können.
Parzany sagte, die deutschen Berichterstatter hätten Graham teilweise sogar gehasst. Trotzdem hätten sie sich „fast geprügelt“, um das einzige Exklusiv-Interview bei einem seiner Besuche in den 1990er-Jahren zu bekommen. In seinen Augen weckt eine „Hofberichterstattung“ zur Evangelisation kein Interesse. Die werde im säkularen Bereich nicht gelesen. Menschen dagegen zu „nerven“, schaffe Interesse. „Redaktionen haben ein sehr wirksames Mittel gegen Evangelisation, nämlich zu schweigen“, sagte Parzany. Es habe im 20. und im 21. Jahrhundert nur einen Prediger gegeben, der so stark wie Billy Graham in den säkularen Sektor ausgestrahlt hätte. Das sei der Papst gewesen.
„Ich schäme mich bis heute dafür“
Parzany erzählte von seinem eigenen Wandel im Bezug auf die Evangelisation, der auch mit Graham zusammengehangen habe: „Ich gehöre zu den Menschen, die in ihrer ersten Lebenshälfte den Aufruf bekämpft haben.“ Er schäme sich bis heute dafür, Graham bei einer Veranstaltung vor 40.000 Menschen in Deutschland davon abgehalten zu haben, einen Aufruf zur Evangelisation zu machen. „Ich war versucht, es in den letzten Jahrzehnten anders zu machen“, sagte Parzany. Er kritisiere aber auch niemanden, der es nicht wie er mit der Evangelisation handhabe.
Ein Impuls aus Grahams Leben für Parzany ist, dass jemand nur im Vertrauen auf Jesus Pastor sein kann. „Wenn ich nicht zu dieser Gewissheit gekommen wäre, hätte ich meinen Job an den Nagel gehängt“, sagte er: „Wer sich mit Billy Graham beschäftigt, kann auch formal eine Menge von ihm lernen – aber das ist das Herzstück.“
Verhaltenskodex Modesto Manifesto
Auch empfahl Parzany jungen Evangelisten, sich an den freiwilligen Verhaltenskodex Modesto Manifesto, den Graham mit ins Leben gerufen hat, zu halten. Eine der Regeln lautete, mit Ausnahme der eigenen Ehefrau nie allein mit einer Frau ein Gespräch zu führen. Graham traf sich laut Parzany etwa mit der amerikanischen Politikerin Hillary Clinton erst, als sie sich in einem vollen Restaurant verabredet hatten. „Die ganzen Missbrauchsgeschichten wie zum Beispiel zu Bill Hybels schmerzen einen so“, sagte Parzany. Die Liste der Evangelisten sei leider endlos. Die Metoo-Debatte sei bei Evangelisten besonders heiß in der Diskussion.
Eine der stärksten Erinnerungen zu Graham hat Parzany aus dem Jahr 1992 behalten. Gemeinsam fuhren die beiden zwei Stunden lang von Erfurt nach Suhl zur Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Sie bereiteten die ProChrist-Veranstaltung vor. Graham habe Parzany gefragt: „Warum habt ihr mich eingeladen? Ich bin ein einfacher Bauernsohn. Ihr habt in Deutschland doch so tolle Theologen.“ Für Parzany habe es selten einen größeren Gegensatz zwischen dem öffentlichen Bild und dem persönlichen Bild einer berühmten Persönlichkeit gegeben. Der Amerikaner sei ein sehr demütiger Mann gewesen.
Von: Michael Müller