Unternehmer und Bestsellerautor Walter Kohl fordert die Volkskirche auf, sich mehr an den Menschen zu orientieren und „sich den Staub abzuklopfen“. „Die Amtskirche verliert in weiten Teilen den Kontakt“ zum Volk, erklärte der Sohn des verstorbenen Altbundeskanzlers Helmut Kohl am Donnerstag bei der Kirchenmesse Gloria in Augsburg. Kohl, der auch als Coach arbeitet, berichtete von seinen persönlichen Erlebnissen mit Glauben und Kirche. Er selbst sei mit der Kirche aufgewachsen. Als Kind im Kommunionsunterricht prägte ihn sein Pfarrer. Kohl stammt aus dem Bistum Limburg. In seiner Jugendzeit zweifelte er aber am Glauben und wendete sich ab.
In der herausfordernden Zeit nach der Scheidung von seiner ersten Frau gab Kohl dem Glauben noch eine Chance. Er las das Neue Testament quer, heftete die Bibeltexte als Tapete an die Wand. Indem er sich intensiver etwa mit den Evangelien auseinandersetzte, brachte ihn das wieder zurück zum Glauben. Heute geht der Unternehmer immer wieder ins Kloster, nicht nur, um Klarheit zu gewinnen, sondern auch, um sich bei Gott zu bedanken. Glaube sei für ihn heute bedingungslos und basiere auf Vertrauen.
Offen sein, ohne Zeitgeist einziehen zu lassen
„Glaube und Kirche sind nicht unbedingt 100 Prozent deckungsgleich“, sagte Kohl auf der ökumenischen Messe und fragte sich, ob dies der richtige Ort sei für eine solche Äußerung. Er rief die Kirche auf, wach zu werden. „Tradition ist im Übermaß beschwerlich“, ergänzte Kohl. Die Kirche müsse sich nicht dem Zeitgeist anbiedern, wenn sie sich offen zeigen will. Sie solle etwa über die Rolle der Frau nachdenken. Frauen seien nicht minderbefähigt, um ein Priesteramt zu übernehmen. Zudem solle die Katholische Kirche den Zölibat überdenken. Laut des biblischen Buches Timotheus soll ein Bischof etwa ein „Mann einer einzigen Frau“ sein. Auch sollten kirchliche Mitarbeiter etwa in Kitas nicht schlechter bezahlt werden als in anderen Bereichen. Die Kirche müsse sich „in Richtung des 21. Jahrhunderts“ entwickeln.
Kohl sprach zudem über die Themen Versöhnung und gelingendes Leben, über die er mehrere Bücher geschrieben hat. Seine Schulzeit sei hart gewesen, er sei verprügelt worden, Kameraden steckten seinen Kopf in die Toilette, sogar ein Lehrer habe ihm verbal den Tod gewünscht. Da Vater Helmut Kohl immer wieder Morddrohungen bekam, war eine Gefahr allgegenwärtig. Dies sei für ihn als Kind schlimm gewesen. Die Spendenaffäre um seinen Vater machte ihm schwer zu schaffen wie auch der Suizid seiner Mutter. Es brauchte viel Kraft, bis er sagen konnte: „Ich nehme meine Biografie an.“ Dies hat er geschafft durch „einseitige Versöhnung“.
Kohl: Verlag wollte Buch über Versöhnung nicht
Mit fünf Schritten kam er zur Versöhnung mit sich selbst. Diese Methode erläuterte er kurz: Lege ein Anliegen präzise fest, was 100 Prozent in deiner Hoheit liegt. Benenne dann alle Gefühle und Gedanken. Wandele dieses in Positives um. Schließe einen einseitigen Friedensvertrag ab als Symbol aktiver Lebensgestaltung. Die neue Kraft soll nun für etwas Konkretes und Sinnvolles eingesetzt werden. Nach dem Freitod seiner Mutter unternahm Kohl selbst einen Suizidversuch. Heute engagiert er sich in einem Netzwerk für Suizidprävention. Für diese fünf Schritte brauche man nur Zeit, einen Stift und einen Zettel – und Ehrlichkeit zu sich selbst. Um sich dieses Veränderungspotential vorzustellen, helfe Kohl das Bild eines Töpfers, der Ton gestaltet. Kohl sieht sich als Rohmaterial und er selbst habe die Möglichkeit, sich zu formen.
Er ist glücklich, dass er die Vergangenheit neu betrachten und Frieden mit dem machen kann, was war. Dies sei wie Aufräumen. So wandele man einen „Wackerstein in Sinn“. Kohl berichtete von seinen Erfahrungen, als er sein erstes Buch zum Thema Versöhnung veröffentlichen wollte. Der Verlag wollte es nicht und interessierte sich viel mehr für brisante Politikgeschichten. Kohl blieb jedoch bei seinem Thema. Das Buch wurde ein Erfolg und rangierte lange auf der Spiegel-Beststeller-Liste. „Wenn du ja sagst zum Leben, öffnen sich Türen“, ermutigte der Autor.
Situation mit „Sprengkraftpotential“
Da Kohls Frau Kyung-Sook Kohl aus Korea stammt, fragte Moderator Michael Ragg Kohl nach dem Interesse an den Olympischen Spielen in Pyeongchang. Dafür interessiere sich der Unternehmer nicht sonderlich, sondern viel mehr für die politische Lage. Die Familie seiner Frau lebe nahe der Grenze zu Nordkorea. Kippe die politische Situation, habe das – nicht nur dort – „Sprengkraftpotential“. In Südkoreas Hauptstadt fielen Kohl an der Stadtautobahn leuchtende Neonkreuze von Gemeinden auf, die immer wieder sichtbar sind. Die Zahl der Christen wachse in Südkorea. Der christliche Glaube habe seit dem Waffenstillstand 1953 eine große Entwicklung erlebt.
Die ökumenische, internationale Kirchenmesse Gloria ist eine Ausstellung für christliche Lebenskultur. Sie widmet sich aktuellen Trends christlicher Produkte – unter anderem aus den Bereichen Bau, Ausstattung sowie christliche Dienstleistungen. Auf 3.500 Quadratmetern präsentieren 88 Aussteller aus zehn Ländern ihre Angebote. Die Messe läuft noch bis zum Samstag und erwartet laut des Veranstalters bis zu 5.000 Besucher. Am Samstag ist der Eintritt zu der Messe frei.
Von: Martina Blatt