Der Mensch muss nur glauben

Mit Leidenschaft, Aufwand und Fiktion gelingt dem Theaterstück „Höllenfeuer – Luther, der Rebell“ eine sehenswerte Ergänzung zum Reformationsjubiläum. Das Highlight des Stücks ist aber nicht Luther. Eine Bühnenkritik von Michael Müller
Von PRO
Nur durch Gnade: Martin Luther (Benjamin Stoll) versucht im Theaterstück „Höllenfeuer – Luther, der Rebell“ die Massen von seinen theologischen Ideen zu überzeugen

Was kann ein Theaterstück zu Martin Luther kurz vor dem 500. Reformationsjubiläum den zahlreichen Interpretationen und künstlerischen Verarbeitungen noch hinzufügen? Die Produktion „Höllenfeuer – Luther, der Rebell“, die am Freitag ihre Welturaufführung im Forum des Christlichen Gästezentrums Schönblick in Schwäbisch Gmünd feierte und noch vier Mal aufgeführt wird, punktet auf ihre Weise. „Höllenfeuer“ erzählt die Lebensgeschichte Luthers vom Anschlag der 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg bis zu seiner Tarnung als Junker Jörg auf der Wartburg vor allem mit Leidenschaft.

Das Stück lebt von der Spielfreude seiner Hauptdarsteller, von den episch anmutenden Massenszenen dank der 70 Laiendarsteller und den authentisch und detailreich wirkenden Kostümen. Im großen Maße beteiligt an der Produktion ist der Staufersaga-Verein, der viel Erfahrung mit historischer Ausstattung und der Bewahrung des kulturellen Erbes einbrachte. Das Stück wird aber auch getragen von der Idee des Regisseurs und Autors Matthias Ihden, die Luther-Geschichte um die fiktive Figur Agnes (Luisa Katharina Davids) angereichert zu haben. An der schwangeren Frau, die ihren Mann betrogen hat, zeigt sich emotional mitreißend der Gnadenaspekt des Evangeliums, den Luther theologisch herausgearbeitet hat.

Agnes (Luisa Katharina Davids) beichtet ihrer Mutter (Ingrid Krusch) den ehelichen Seitensprung Foto: pro/Michael Müller
Agnes (Luisa Katharina Davids) beichtet ihrer Mutter (Ingrid Krusch) den ehelichen Seitensprung
Papst Leo X. (Ralf David) und sein Nuntio Aleandro (Carlo Degen) nehmen Luther nicht ernst Foto: pro/Michael Müller
Papst Leo X. (Ralf David) und sein Nuntio Aleandro (Carlo Degen) nehmen Luther nicht ernst
Michael Schaumann hat als Dominikanermönch Johann Tetzel, der den Ablassverkauf anheizt, nur eine große Szene. Die bleibt aber durch ihre Intensität auch nach dem Theaterstück noch in Erinnerung. Foto: pro/Michael Müller
Michael Schaumann hat als Dominikanermönch Johann Tetzel, der den Ablassverkauf anheizt, nur eine große Szene. Die bleibt aber durch ihre Intensität auch nach dem Theaterstück noch in Erinnerung.
Die 70 Laiendarsteller des Staufersaga-Vereins lassen das Theaterstück erst richtig lebendig und episch wirken Foto: pro/Michael Müller
Die 70 Laiendarsteller des Staufersaga-Vereins lassen das Theaterstück erst richtig lebendig und episch wirken
Luther isst Suppe Foto: pro/Michael Müller
Luther isst Suppe
Tim Oberndörfer als König Karl V. Foto: pro/Michael Müller
Tim Oberndörfer als König Karl V.
Die Abseilaktion Luthers in der Mitte des Stückes Foto: pro/Michael Müller
Die Abseilaktion Luthers in der Mitte des Stückes
Luther spricht in seinem Monolog am Bühnenrand über seine Zeit im Kloster Foto: pro/Michael Müller
Luther spricht in seinem Monolog am Bühnenrand über seine Zeit im Kloster
Auch Nonnen beteten für Luther Foto: pro/Michael Müller
Auch Nonnen beteten für Luther
Ullrich von Hutten (Gerald Just) und Kurfürst Friedrich der Weise (Joachim Meyer) Foto: pro/Michael Müller
Ullrich von Hutten (Gerald Just) und Kurfürst Friedrich der Weise (Joachim Meyer)
Luther bei Kardinal Kajetan (Pat Müller) Foto: pro/Michael Müller
Luther bei Kardinal Kajetan (Pat Müller)

Ehebrecherin Agnes im Mittelpunkt

Natürlich gibt es in der über drei Stunden langen Inszenierung genügend Zeit, sich Papst Leo X. (Ralf David), seinem Nuntio Aleandro (Carlo Degen) und Kardinal Kajetan (Pat Müller) zu widmen, die Luther (Benjamin Stoll) zuerst nicht ernst nehmen, ihn verspotten, um ihn dann zu bekämpfen. Das Stück springt dabei wie ein Uhrpendel von der linken zu der rechten Bühnenseite und zurück und verlagert so die Schauplätze. Die Bühne ist schlicht dekoriert, besitzt Leuchttafeln, die farblich die Atmosphäre der Szene vorgeben oder die Szenerie mit einem Stichwort wie „Gier“, „Macht“, „Sünde“ oder „Weise“ überschreiben.

Aber es ist die Figur der Agnes, in der sich das Leid der Menschen mit der Kirche im späten Mittelalter widerspiegelt. Die Menschen sind unzufrieden, weil sie immer ärmer und die Kirche immer reicher wird. Der Bibel werde Gewalt angetan, um den Menschen mit den Ablässen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Für Agnes bricht eine Welt zusammen, als sie ihrer Mutter (Ingrid Krusch) den ehelichen Seitensprung gesteht. Mit der Sünde weiterleben kann sie nicht, weil sie Angst vor der Hölle hat. Zur Beichte gehen kann sie nicht, weil sie dem Priester nicht traut. Würde die Geschichte herauskommen, wäre sie eine gefallene Frau.

Es ist Luther, der Agnes mit dem Johannesevangelium tröstet, in dem er an Jesus und die Ehebrecherin erinnert: „Wer frei von Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Agnes solle hingehen und fortan nicht mehr in Sünde leben, sagt Luther. Gott habe den Menschen die Gnade geschenkt, der Mensch müsse nur glauben. Hauptdarstellerin Luisa Katharina Davids spielt die Zerrissenheit ihrer Figur einfühlsam. Wie der Schönblick-Direktor Martin Scheuermann nach der Aufführung dem Publikum verriet, ist die sichtbare Schwangerschaft ihrer Figur wiederum nicht gespielt.

Luther muss sich auf dem Reichstag in Worms für seine Schriften rechtfertigen Foto: pro/Michael Müller
Luther muss sich auf dem Reichstag in Worms für seine Schriften rechtfertigen
Schönblick-Direktor Martin Scheuermann gibt Blumen an Hauptdarstellerin Luisa Katharina Davids Foto: pro/Michael Müller
Schönblick-Direktor Martin Scheuermann gibt Blumen an Hauptdarstellerin Luisa Katharina Davids
Regisseur und Autor von „Höllenfeuer – Luther, der Rebell“: Matthias Ihden Foto: pro/Michael Müller
Regisseur und Autor von „Höllenfeuer – Luther, der Rebell“: Matthias Ihden

„Wenn der Herrgott keinen Spaß versteht, möchte ich nicht in den Himmel“

Luther selbst ist am Anfang des Stück ein nervöses Wrack. Benjamin Stoll spielt ihn als hibbeligen und unsteten Charakter. Meist sitzt er auf der linken Bühnenseite mit schwarzer Kutte vor schwarzem Hintergrund. Richtig zum Leben erwacht er das erste Mal, als ihn Agnes‘ Familie zum Suppe-Essen einlädt. Agnes‘ Vater mag Luther, weil er sein bester Kunde ist: „Man könnte fast glauben, Sie trinken die Tinte, die Sie bei mir kaufen.“ Die Mutter möchte Luthers Position zur Beichte herausfinden, fragt aber verschlüsselt nicht nach dem Problem ihrer Tochter, sondern nach dem Problem einer Bekannten. Es ist die humorvollste Szene des Stücks. „Wenn der Herrgott keinen Spaß versteht, möchte ich nicht in den Himmel“, findet Luther.

Als Luther später nach seinem Verhör durch Kardinal Kajetan aus Augsburg mit seinem Unterstützer und Freund Johann (Uwe Kreusel) flieht, seilt sich der Reformator aus dem Publikumsbereich von der Bühnendecke ab. Kurzzeitig stockt der Atem, weil es ein unerwartet gewagter Stunt ist. Luther-Darsteller Stoll spielt hier mit ganzem Körpereinsatz, was er beim Aufkommen auf dem Boden mit Schmerzen bezahlt. Das Abseilen missglückt ein Stück weit, die Vorrichtung verhakt sich. Schönblick-Direktor Martin Scheuermann sieht den perfekten Moment gekommen, eine Pause auszurufen.

„Höllenfeuer“ besitzt zahlreiche erinnerungswürdige Momente. Dazu zählt auch ein Monolog Luthers, der am Bühnenrand in blaues Licht getaucht ist: Er berichtet unter anderem von der rauen Kleidung, die er im Kloster zur Selbstgeißelung getragen hat. Visuell beeindruckend sind die Szenen um König Karl V. (der erst 18-jährige Tim Oberndörfer) auf dem Reichstag zu Worms, wo Luther nach der Exkommunizierung durch den Papst angehört wird. Die zahlreichen Statisten und die wunderbaren Kostüme demonstrieren noch einmal, welcher Aufwand in diese Theaterproduktion geflossen ist.

„Höllenfeuer – Luther, der Rebell“: Weitere Aufführungen sind im Forum des Christlichen Gästezentrums Schönblick in Schwäbisch Gmünd am 21. Oktober (19 Uhr), am 22. Oktober (15 & 19.30 Uhr) sowie am 31. Oktober (19.30 Uhr) zu sehen.

Von: Michael Müller

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