In Frankfurt haben am Mittwoch der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Volker Jung, und der katholische Stadtdekan, Johannes zu Eltz, in einer offenen Diskussionsveranstaltung über Fragen der Zuwanderung diskutiert. Darin erteilte Jung Obergrenzen für Flüchtlinge und Asylsuchende eine Absage. Deutschland habe sich grundsätzlich festgelegt, sich für Menschen, die in Not seien, zu öffnen und nach Prüfungsvorgängen Asyl zu gewähren. Bei der gemeinsamen Veranstaltung von Evangelischer Sonntags-Zeitung, dem katholischen Haus am Dom und der Evangelischen Akademie Frankfurt unter dem Titel „Müssen Christen alle willkommen heißen?“ sagte der Kirchenpräsident: „Da kann man nicht von vornherein sagen, ab einer bestimmten Zahl macht man dicht. Ich halte bei humanitärer Flüchtlingsaufnahme die Rede von einer Obergrenze verfassungsrechtlich für nicht möglich.“
Auf Anfrage von pro erklärte der Kirchenpräsident: „Die Bibel legt uns einen besonderen Blick auf den Fremden nahe.“ Das sei bereits im Alten Testament verankert mit dem Hinweis an Israel, Fremdlinge zu akzeptieren und sie im Land wohnen zu lassen wie Einheimische. „Im Neuen Testament, im Spitzensatz Jesu: ,Ich bin ein Fremder gewesen, ihr habt mich aufgenommen’ ist uns nahe gebracht, dass wir es im Fremdem im Prinzip mit Christus selbst zu tun haben und die Begegnung mit dem Fremden auch eine Christusbegegnung ist“, sagte Jung. Vor diesem Hintergrund liege es nahe, Fremden eine besondere Aufmerksamkeit und einen besonderen Schutz zu gewähren. „Im Fremden sehen wir uns selbst und Christus“, sagte Jung.
Muslime nicht unter Generalverdacht stellen
Vorkommnisse wie etwa Übergriffe durch Flüchtlinge auf Frauen in der Kölner Silvesternacht seien nicht hinnehmbar. „Wie dort Frauen bedrängt worden sind, dem muss man entgegen treten,“ erklärte Jung in der Diskussion mit den mehr als 120 Teilnehmern der Veranstaltung, die von Martin Vorländer und Andrea Seeger, beide Redakteure der Evangelischen Sonntags-Zeitung, moderiert wurde. Und weiter: „Wir haben eine Gesellschaft, die Recht und Sicherheit bietet und von den Menschen gesucht wird, die zu uns kommen. Das wollen wir nicht verlieren.“
Respektlosigkeit einzelner dürfe nicht Grund sein, Muslime unter Generalverdacht zu stellen. Integration setze Lernbereitschaft auf allen Seiten voraus und bedeute nicht, dass eine Gesellschaft ihre Werte aufgeben müsse. „Integration ist mehr als ein einfaches Einfügen in die Gesellschaft“, sagte Jung, der auch Versäumnisse bei der Politik erkennt. „Man hat sich die Frage, was es bedeutet, Deutschland als Zuwanderungsland zu sehen, lange nicht gestellt.“ Der Theologe bedauerte, dass es bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu keiner europäischen Lösung gekommen sei. „Wir sollten nicht so tun, als sei das irgendwie vorüber. Ich glaube dass wir uns dauerhaft auf Migration und Flucht einstellen müssen“, erkläre der Kirchenpräsident und erkennt noch Regelungsbedarf.
Grundforderung: Religionsfreiheit
Jung bemängelte die Verschärfung der Diskussionskultur, die oft von verschiedenen Seiten ideologisch überlagert werde. „Man unterstellt sehr schnell, wer etwa Kritik an der Flüchtlingsaufnahme übt, der sei von vornherein Rechts. Oder umgekehrt: Wer sich für eine Willkommenskultur einsetzt, sei unkritisch“, sagte Jung. Kritik auch in Fragen der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen müsse möglich sein, sei aber oft verbunden mit einer diskriminierenden Haltung. Jung wies auf den Prozess kulturellen Lernens und der Entwicklung in der Gesellschaft hin und führte die Debatten an, die im Zusammenhang mit der Akzeptanz von Homosexualität in der Gesellschaft geführt worden seien. Im Hinblick auf die Verfolgung und Benachteiligung von Christen, etwa in arabischen Ländern, erklärte Jung: „Die Grundforderung heißt Religionsfreiheit. Die Grundforderung für die wir einstehen heißt: keine Diskriminierung – egal was Menschen glauben und denken.“
Selbstbewusst die eigene Kultur Fremden anbieten
Nach Ansicht des katholischen Stadtdekans Johannes zu Eltz legt die Bibel „Wohlwollen und Gastfreundschaft gegenüber jedermann ausdrücklich fest“. Er sehe als Christ keine Möglichkeit, Einzelne oder Gruppen grundsätzlich auszuschließen. „Daran entscheidet sich, ob ich Christ bin oder nicht“, sagte von Eltz. Christen könnten sich als Staatsbürger mit politischen Urteilen nicht von ihren christlichen Überzeugungen entbinden. Wenn es ums Handeln gehe, gelte es zu seinen christlichen Grundsätzen zu stehen. Das Grundgesetz, nicht die Bibel, sei das Buch, an das sich hier alle halten müssten. „Wir können mit Größe und Selbstbewusstsein unsere eigene Kultur denen anbieten, die hier her gekommen sind,“ sagte zu Eltz. Der Stadtdekan hält den Dialog zwischen Christen und Muslimen in Frankfurt für unerlässlich. „Es geht überhaupt nicht anders.“ Allerdings dürften Verständnisschwierigkeiten nicht auf der sprachlichen Ebene liegen. „Dialog hat einigermaßen Gleichheit im Sprachvermögen zur Voraussetzung“, erklärte er. Dies sei in seiner Stadt „nicht mit vielen, schon gar nicht mit allen“ möglich. „Bärbeißigkeit“ und „Saugrobheit“ sowie moderne Hasssprache verunsicherten viele Muslime, „die in der Regel ganz besonders höflich, ganz besonders gastfreundlich und charmant im Gespräch“ seien.
Aufgabe für Generationen
Christen dürften nicht auf das Prinzip der Gegenseitigkeit setzen, erklärte er weiter. „Wir dürfen nicht verlangen, dass andere uns genau so behandeln wie wir sie.“ Christen seien die Leute des ersten Schritts, der größeren Arglosigkeit und der größeren Verzeihensbereitschaft. „Aus der Nummer kommen wir nicht raus – das kommt von Jesus“, sagte zu Eltz. Es gelte, den Dialog mit Muslimen und mit deren Verbänden zu führen. Voraussetzung dazu sei „die persönliche Unbescholtenheit“ der muslimischen Mandatsträger. Zu Eltz hofft, „dass durch großzügige Aufnahme und durch breite Partizipation an unseren kulturellen Errungenschaften“, vor allem durch einen ungehinderten Zugang von muslimischen Frauen in die deutschen Bildungssysteme sich archaische und patriarchalische Verhaltensformen bei den Flüchtlingen ändern. Dazu braucht es seiner Ansicht nach jedoch Jahrzehnte. Die Integration werde „kein Spaziergang“, sondern eine „riesige Aufgabe für Generationen“ und es sei noch „gar nicht ausgemacht, ob wir die bewältigen“.
Zu Eltz äußerte sich in der Diskussion auch zum Vorwurf der „Gesprächsverweigerung“ der Kirchen gegenüber der AfD. „Mit Parteien, die sich öffentlich zur Wahl stellen, und die von Verfassung wegen öffentlich agieren können und Mandate erringen, muss auch öffentlich gesprochen werden können“, sagte zu Eltz. Die Ausgrenzung der AfD beim letzen Katholischen Kirchentag hält er rückblickend für falsch. Er begrüßte hingegen die Entscheidung des Deutschen Evangelischen Kirchentags (DEKT) in Berlin mit der AfD das Gespräch zu führen. (pro)
Von: nob