Wenn Luther Gender-Gaga kritisiert

Was würde Luther sagen, wenn er per Zeitreise mit der heutigen Evangelischen Kirche in Deutschland reden könnte? Diese Frage stellt sich ein christliches Theaterprojekt. Moritz Breckner hat das sehenswerte Stück besucht.
Von PRO
Von links nach rechts: Luther (Ewald Landgraf), Kathrin (Julia Schmidt), und die beiden Physiker (Michael Beck, Christine Schäfer). Diskutiert wird gerade die Frage: Kann Luther tatsächlich 500 Jahre in die Zukunft gereist sein?

Martin Luther (Ewald Landgraf) ist verzweifelt, denn kaum einer will ihm zuhören. Dabei hat er viel zu sagen: „Die Kirche muss die letzten Fragen des Lebens beantworten, statt über Umweltpolitik zu reden. Sie darf Ehe und Familie nicht antasten. Sie darf nicht verschweigen, wovor Jesus rettet.“ 95 neue Thesen sind es insgesamt, die er im Jahr des 500-jährigen Reformationsjubiläums an die Kirchentür in Wittenberg anschlagen will. Damit davon überhaupt jemand was mitbekommt, soll die junge Journalistin Kathrin (Julia Schmidt) für Medienrummel sorgen.

Das ist die Ausgangslage im Theaterstück „Reformator – Die Rückkehr“, erdacht von Hauptdarsteller Ewald Landgraf und umgesetzt mit Laiendarstellern des Projekts „Theater zum Einsteigen“. Landgraf schreibt seit 1998 Theaterstücke, in denen die christliche Botschaft aufgegriffen wird. Sie werden hauptsächlich in Landes- und Freikirchen aufgeführt, Landgraf trainiert die Darsteller und lebt von dem, was die Besucher spenden – je nachdem, wie viel ihnen der Abend wert war. Das Stück über Luther entwickelte Landgraf im Auftrag des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes zum Jahr des Reformationsjubiläums.

Der Ratsvorsitzende kommt nicht

Kathrin hält Luther zunächst für einen Verwirrten, als dieser mit Hilfe zweier Physiker erklärt, wie seine Zeitreise ins Jahr 2017 durch Wechselwirkungen in Quantensystemen funktioniert hat. Schluckt der Zuschauer die schräge Prämisse, wird er am Schluss nach rund 80 Minuten mit einer befriedigenderen Auflösung belohnt. Zeit genug, um aus Luthers Perspektive all die Konflikte zu besprechen, die heute Gräben zwischen den Konfessionen ziehen.

Luther verlangt, den Ratsvorsitzenden der evangelischen Kirche zu sprechen, um ihm den Kopf zu waschen – denn er hat den EKD-Werbespot für Unisextoiletten ebenso gesehen wie das um sich greifende „Gender-Gaga“. Der Ratsvorsitzende kommt nicht, Luther muss an einem von Kathrin organisierten „runden Tisch“ (welch typisch kirchliche Stuhlkreis-Floskel) mit Pfarramtssekretärin Gnadenbach und Dekanin Seicht Vorlieb nehmen. Die Namen Gnadenbach und vor allem Seicht sind bei den penetranten Damen Programm, jedoch hat es der Regisseur mit der Karikatur nicht übertrieben – denkbar wären noch Öko-Klamotten und lange Doppelnamen gewesen. Doch „Reformator“ möchte zwar bissig, aber nicht verletzend sein.

Laute Debatten, leise Töne

In die Diskussion um Luther mischen sich im Laufe des Abends immer mehr Protagonisten ein. Da kommt der Katholik Werck (Marco Stegner), der von Luther eine Entschuldigung verlangt, seinen Gesprächspartnern Ketzerei vorwirft und erklärt, dass es nur eine wahre Kirche gebe. Seine Gehässigkeiten begründet er vielsagend: „Man wird doch wohl noch in Liebe die Wahrheit sagen dürfen!“ Dieses Anliegen hat sich auch Dornkahl (Tobias Lehr) auf die Fahnen geschrieben: Der atemlos empörte Herr hat ein beispielloses Kirchen-Hopping hinter sich, weil für ihn keine Konfession heilig genug war. Nun ist er „Urchrist“ und verlangt von Luther, den anderen so richtig eins überzubraten. Es ist ein Spiel mit den Stereotypen, denen viele Christen schon einmal begegnet sind.

Luther (ganz rechts) diskutiert mit Katholik Werck (mitte rechts) und „Urchrist” Dornkahl (mitte links). Ganz links: Dekanin Seicht (Nicole Adler) Foto: pro/Moritz Breckner
Luther (ganz rechts) diskutiert mit Katholik Werck (mitte rechts) und „Urchrist” Dornkahl (mitte links). Ganz links: Dekanin Seicht (Nicole Adler)

Auch wenn es manchmal auf der Bühne, die ohne aufwändige Kulissen auskommt, laut wird, sind Platz für leise Töne: Die Journalistin Kathrin sucht nach dem Sinn ihres Lebens, in dem das Schicksal, wie sie es nennt, mehr als einmal nur Enttäuschungen zu bieten hatte. Je mehr sie über Luther recherchiert und seiner Argumentation lauscht, desto weicher wird ihr Herz für die Frage, ob Jesus nicht doch auch für sie eine Bedeutung haben kann. „Jesus ist kein Kuscheltier“, sagt Luther, dem mehr an Kathrin liegt, als der Zuschauer zunächst erfährt. „Er rettet uns mit Blut für die Ewigkeit im Himmel.“ All das in Zweifel zieht eine mysteriöse Frau namens Achilles (Inken Staiger-Will), die in manchen Szenen die Rolle des biblischen Widersachers einzunehmen scheint, bevor auch ihre Rolle am Schluss aufgelöst wird.

Zuschauer bekommen Gutes zum Nachdenken

Doch auch Luther muss sich überprüfen, selbstkritisch reflektieren und manche Fehler schwer bereuen, wie die antisemitischen Äußerungen, die bis heute Schatten auf sein Wirken werfen. „Ich war ein Kind meiner Zeit“, erklärt er und versteht in der Rückschau nicht, warum Gott ihm nicht mehr Weisheit gegeben hat.

„Reformator – die Rückkehr“ ist ein sehr kurzweiliges Theaterstück. Die Dialoge sind dicht gefüllt mit Informationen, Gags und Nachdenkenswertem, sodass der Theaterabend auf mehreren Ebenen einen Gewinn darstellt. Besucher werden für den historischen Kontext Luthers sensibilisiert, zum Nachdenken über die Streitkultur unter Christen gebracht und eingeladen, den Glauben an Jesus Christus anzunehmen. „Früher mussten die Menschen Gott gnädig stimmen, heute muss Gott die Menschen gnädig stimmen“, klagt Luther über den Geist unserer Zeit. Beste Voraussetzungen also, um als Zeitreisender an den ursprünglichen Auftrag der Kirchen zu erinnern. (pro)

Das Theaterstück „Reformator – die Rückkehr“ von und mit Ewald Landgraf tourt bis Mitte November durch zahlreiche Orte in Deutschland. Eine Übersicht der Termine findet sich hier.

Von: mb

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