Vor St. Thomas stehen sie Schlange. Alle wollen zu Robert Hood, der in der Nacht im legendären „Tresor“, einem Techno-Club ganz in der Nähe, auflegt. Im Innenraum einer der größten Kirchen Berlins schicken blaue Scheinwerfer ihr kühles Licht in die Kuppel. Im Altarraum brennen vier lange Kerzen, neben dem Pult mit der aufgeschlagenen Bibel steht das DJ-Mischpult. Als sich die Kirche gefüllt hat, erinnern zunächst die Kreuzberger Pfarrerin Rebecca Marquardt und Stefanie Hoffmann, Pfarrerin für Digitale Verkündigung, an die zwei historischen Ereignisse des 9. November, an die Pogromnacht und den Mauerfall. „Lasst uns Brücken der Liebe bauen“, ist ihr Appell und die Überleitung zu Robert Hood lautet: „Techno baut Brücken.“
Jeder soll Gottes Liebe kennenlernen
Kaum tritt der Afroamerikaner hinter sein Mischpult, brandet Beifall auf. Bald bebt der Boden im wummernden 4/4-Takt, Robert Hood zieht die Regler hoch, spielt unter anderem Klänge seines Gospel-House-Tracks „We Magnify His Name“. Das überwiegend junge Publikum tanzt begeistert mit. Nach rund zehn Minuten ist allerdings erstmal Schluss, Hood nimmt die Bibel zur Hand und tritt ans Mikrofon. Er fordert die Besucher auf, für den Herrn zu klatschen. Sein Gebet sei, dass jeder hier Gottes Liebe sehe und Gott kennenlerne, sagt er. Er selbst kenne ihn, Gott sei real. „Er ist die Quelle meiner Kraft, meines Lebens“, bekennt der DJ und Prediger. In der Musik sei ein „Plug-in“ wichtig, betont Hood und zeigt auf sein Equipment. „Auch von uns braucht jeder eine Kraftquelle. Jesus Christus ist die Quelle meiner Kraft, ich könnte nichts tun ohne ihn, und ich habe es lange versucht.“
Einiges erzählt der 1965 in Detroit geborene Hood aus seinem Leben. Dass sein Vater umgebracht wurde, als er selbst sechs Jahre alt gewesen sei. Von einem Traum, in dem sein Großvater zu ihm von Jesus geredet habe. Er habe gedacht zu wissen, was Leben sei, habe jedoch immer als Stiefkind außerhalb der Gnade Gottes gelebt. „Ich liebe Techno, ich liebe House, ich liebe Disco, aber am Ende des Tages brauche ich Christus in meinem Leben“, macht der DJ und Komponist deutlich. Lange habe er sich selbst nicht lieben können, sei sehr deprimiert gewesen und habe keinen Grund gesehen, weiterzuleben. Gott habe ihm einen anderen Weg gezeigt. Jeder habe diese Wahl.
„Lest die Bibel“
Eindringlich redet Hood von Gottes Liebe: „Du hast keine Vorstellung davon, wie sehr Gott dich liebt. Jesus hat sein Leben gegeben. Mein Gebet ist, dass ihr seine Liebe und Gnade empfangt. Es geht nicht um mich, sondern um Jesus.“ Zum Ende der knapp halbstündigen Predigt ruft er dazu auf, das Leben Jesus zu übergeben. „We have to plug in“, so sein Appell an die Hunderten Zuhörer. Er betet ein Gebet vor, das viele in der Kirche nachsprechen. Lest die Bibel, fordert er sie auf, „dieses Wort ist Leben, das verspreche ich euch“. Nachdem der Berliner Chor der Kulturen der Welt unter Leitung von Esmeralda Conde Ruiz gesungen hat, legt der DJ noch einmal auf, die Menge jubelt und tanzt. Hood hebt die Hand mit ausgetrecktem Zeigefinger zur Decke: Es geht um Gott.
Hood sei ein überzeugter, frommer Mann, hatte vor der Techno-Andacht bereits die Pressesprecherin des Evangelischen Kirchenkreises Berlin Stadtmitte, Christiane Bertelsmann, gegenüber pro erklärt. Sie könne sich weitere Aktionen wie die Techno-Andacht für die Zukunft vorstellen. Zustande gekommen war dieser Abend eher durch Zufall auf Initiative von „Tresor“-Betreiber Dimitri Hegemann, der auch am Gottesdienst teilnahm. Hood stand für den 9. November im „Tresor“ auf dem Programm und Hegemann wusste, dass Hood in seiner Heimat Alabama auch predigt. „Wir haben ihn gefragt, ob er Lust habe, in St. Thomas zu sprechen, und er willigte spontan ein“, teilte Hegemann pro mit.
Die Techno-Andacht ist vorbei, die Menschen strömen nach draußen. Eine Handvoll junger Leute unterhält sich über den Abend. Einer der Männer fand es bewegend, er sei noch ganz aufgekratzt, erzählt er. „Also bei mir hat es gar nichts bewirkt“, gesteht eine Frau. Ein anderer wiederum findet die Verbindung von Kirche und Techno etwas problematisch, so eine Veranstaltung ziehe ja ein ganz bestimmtes Publikum an. Na und, findet ein anderer der jungen Männer, wenn es schon nur ein oder zwei zum Nachdenken gebracht habe, hätte es was genutzt. Er selbst mag das Wort „Gott“ nicht so gern in den Mund nehmen, erklärt er und spricht lieber von „Spiritualität“. Aber auch bei ihm habe dieser Gottesdienst etwas bewirkt, etwa schöne Erinnerungen geweckt an seine Großmutter, die manchmal an seinem Bett gebetet habe. Es sei ein guter Weg, meint der erste wieder. „Es muss ja nicht jeder Gottesdienst eine Techno-Party sein, aber wenn jemand so seine eigene Geschichte erzählt, ist das inspirierender, als wenn man nur stur aus der Bibel vorliest.“
Von: Christina Bachmann