pro: Frau Smith, Sie werden am Dienstag vom Bundespräsidenten für Ihr soziales Engagement ausgezeichnet. Wie fühlt sich das an?
Jocelyn B. Smith: Als ich die E-Mail mit der Einladung las, dachte ich zuerst, das sei ein Missverständnis. Ich holte meinen Sohn dazu, aber er versicherte mir, dass ich wirklich diesen Verdienstorden bekomme. Ich musste weinen vor Rührung. Ich lebe nun schon seit über dreißig Jahren in Berlin, aber ich empfinde es als etwas Besonderes, von der Bundesrepublik geehrt zu werden. Schließlich komme ich ursprünglich nicht aus diesem Land. Es ist auch ein starkes Signal dafür, dass Deutschland weltoffen ist. Ich habe den Glauben an diese Weltoffenheit nicht verloren. Das ist auch ein Grund, warum ich so viel Herzblut in die Arbeit mit dem Chor „Different Voices of Berlin“ gesteckt habe. Dort singen Obdachlose gemeinsam mit anderen Berlinern. Weil Musik verbindet, auch über Grenzen hinweg.
Für dieses Projekt werden Sie nun geehrt. Es hängt eng zusammen mit der sozialen Arbeit der evangelischen Kirchengemeinde Heilig Kreuz-Passion in Berlin-Kreuzberg …
Ja, der Chor probt seit über zwölf Jahren im Obdachlosenzentrum „Gitschiner 15″. Wir treten seit Jahren bei deren Kirchenfesten auf und haben auch schon einige Veranstaltungen der Evangelischen Kirche in Berlin mit unserer Musik begleitet. Die Beziehungen zur Kirche sind sehr eng und vertraut.
Arbeiten Sie gerne mit der Kirche zusammen?
Mein erster Klavierlehrer war der Organist unserer Kirche in New York. Ich bin katholisch getauft. Mit neun Jahren habe ich zum ersten Mal einen Gottesdienst auf der Orgel begleitet. Ich bin es also von klein auf gewohnt, in Kirchen zu sein und künstlerisch mit Kirchen zusammenzuarbeiten. Ich und meine Familie waren immer eng verbunden mit der christlichen Gemeinde – und damit meine ich die weltweite Gemeinschaft der Christen. Es gehört für mich als Afroamerikanerin auch irgendwie dazu. Das Haus Gottes ist unser zweites Zuhause.
Und nun sind Sie in Deutschland eher mit der evangelischen Kirche verbunden …
Ich habe die ganze katholische Sozialisation inklusive Firmung und allem, was dazu gehört, mitgemacht. Als ich nach Deutschland kam, hatte ich plötzlich viel mehr Kontakt zu Protestanten. Das war neu für mich. Aber ich wollte lernen, was das Besondere am evangelischen Glauben ist und habe gemerkt: Er ist offener, lebendiger. Jede Glaubensrichtung hat ihre Gesetze und Regeln. Das ist völlig in Ordnung und ich will auch niemanden herabwürdigen. Aber ich habe erlebt, wie offen die evangelische Kirche für mich war, auch mit meinen katholischen Wurzeln. Ich genieße das sehr. Und noch etwas: Ich habe in der evangelischen Kirche so viele starke Frauen und Pfarrerinnen kennengelernt! Das finde ich sehr anziehend. Frauen müssen in der Kirche ihre Stimmen erheben können. Dafür stehe ich auch.
Welche Rolle spielt die Kirche heute in Deutschland?
Musik spielt eine große Rolle dabei, wie die Kirchen in der Gesellschaft dastehen. Ich wurde im vergangenen Jahr zum ersten Mal von einer theologischen Pop-Akademie eingeladen …
… Sie meinen die Evangelische Pop-Akademie in Witten, sie wurde am 4. Mai 2017 eröffnet …
2017, ja. Das ist zu spät. Warum hat das so lange gedauert? Die Kirchen verlieren immer mehr Menschen und das liegt auch daran, dass sie zu lange gebraucht haben, um ihre Musik auch durch junge deutsche Komponisten moderner zu gestalten. Ich bin froh, dass es diese Akademie jetzt gibt. Die Kirche wird eine größere Rolle spielen, wenn sie die Musik in den Mittelpunkt stellt, und sie nutzt, um jungen Menschen zu begegnen. Kunst ist ein Spiegel der Wahrheit. Damit erreichen Christen die Kids da draußen. Aber auch nur dann, wenn sie ihren Geschmack treffen. Wenn die Töne vertraut klingen. Die Kirche braucht bessere Musik.
Wünschen Sie sich, dass die Kirchen voller werden?
Natürlich. Kirchen sind Orientierungspunkte. Sie tragen die Botschaft von Christus in die Welt. Das Licht. Ich selbst kenne es schon und werde das nicht wieder verlieren. Aber für junge Menschen muss dieses Licht so vermittelt werden, dass sie es auch verstehen können. Gute Chorarbeit ist ein Weg dahin.
Was ist für Sie christlicher Glaube?
Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich ein Licht in mir. Das zeigt mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Es gibt Menschen, die sehen dieses Licht nicht. Ich wünsche mir Gotteshäuser, die groß und stark genug sind, auch diesen Menschen zu zeigen, was in ihnen ist. Denn dann verstehen sie, dass wir alle geschaffen sind, dass wir alle gleich sind und alle dasselbe Licht in uns tragen.
Frau Smith, vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Anna Lutz