pro: Herr Ehrhardt, was haben Comics mit Religion zu tun?
Heiko Ehrhardt: Um diese Frage zu beantworten, muss man klären, was „Religion“ ist und auch, was man unter „Comics“ versteht. Ich habe mich vor allem mit dem Marvel-Universum beschäftigt, einem der weltweit größten Comic-Verlage. Hier kommt Religion so vor, wie sie in unserer Gesellschaft oft vorkommt: indirekt und beiläufig. Natürlich gibt es auch Comics, die biblische Geschichten erzählen oder aber die Comics der muslimischen Zeichnerin Tuffix, die den muslimischen Glauben zum Thema haben. Da geht es zentral um Religion. Und in den bekannten Peanuts-Comics von Charles M. Schulz stecken sehr viele religiöse Aussagen. Schulz war auch Zeit seines Lebens Laienprediger.
Wo spielt der christliche Glaube eine besondere Rolle in Comics?
Überall da, wo es vom Konzept her um den christlichen Glauben geht, wird man auch christliche Inhalte finden. Ansonsten muss man die Brücke zum christlichen Glauben bauen: Etwa so, dass man sieht, dass es um Werte geht, die es auch im christlichen Glauben gibt. Oder dass es um Fragestellungen geht, die auch der christliche Glaube behandelt. Es gibt gute Gründe, christliche Inhalte – etwa Geschichten der Bibel oder auch die Geschichte der Reformation – in Form von Comics oder Graphic Novels darzustellen. Schon deshalb, weil viele Menschen nicht mehr daran gewöhnt sind, ein Buch zu lesen. Übrigens: Im Mittelalter ist man ähnlich vorgegangen. Da hat man ganze Kirchen ausgemalt, um so christliche Inhalte darzustellen.
Gibt es im Comic Figuren, die Jesus ähnlich sind?
Bei der enormen Menge an Comics kann ich das nicht so einfach beantworten. Sicher wird es Figuren geben, die Jesus ähnlich sind. Auf die Marvel-Comics bezogen würde ich sagen, dass es eine große Anzahl von Retterfiguren gibt. Einige dieser Retter opfern sich selbst – sogar ihr Leben –, um andere Menschen oder das gesamte Universum zu retten. Dies gilt schon für den „Very first Avenger“, Captain America, und es gilt vor allem im bislang letzten Avengers-Film: „Infinity War“. Hier wird dann auch deutlich die Frage gestellt, ob es ethisch akzeptabel ist, einen Menschen zu opfern, um alle anderen zu retten. Diese Frage wird im Film übrigens verneint. Also ein klarer Gegensatz zum Tod Jesu. Überhaupt spielt das Universum bei Marvel eine große Rolle. Dann, wenn eine Bedrohung entsteht, ist nie nur die Welt bedroht. Immer geht es um das Ganze. Diese kosmische Dimension hat eine religiöse Komponente: Rettung oder Erlösung wird nicht auf den Menschen und seine Welt enggefahren.
Offenbar fasziniert das Thema Glaube Comicfans: Können Comics missionarisch sein?
Ich denke, man kann so gut wie jedes Versatzstück von Jugendkultur nutzen, um über christliche Inhalte ins Gespräch zu kommen. Man muss sich nur darauf einlassen, was ausgesagt wird und in welchem Verhältnis dies zur christlichen Verkündigung steht. Wenn es etwa darum geht, dass die „X-Men“ als geborene Mutanten zu Außenseitern gemacht werden, dass sie gefürchtet, ausgegrenzt, sogar verfolgt werden, kann man sehr gut über Minderheitenerfahrungen und Rassismus reden. Beides hat auch eine christliche Dimension. Denn im christlichen Glauben ist die Würde der Person unabhängig von dem, was diese Person mitbringt. Einfach deshalb, weil Gott „Ja“ zu dieser Person gesagt hat. Und wenn dann Professor Xavier den verfolgten Mutanten ein Zuhause gibt, wenn er für die Akzeptanz dieser Mutanten kämpft und wenn er in der Lage ist, weltweit alle Mutanten wahrzunehmen, dann hat diese Figur schon Züge eines Gottes an sich. Und zwar nicht irgendeines Gottes, sondern Züge des liebenden Gottes der jüdisch-christlichen Tradition.
Weche Anknüpfungspunkte gibt es noch?
Auf einer anderen Ebene kann man am Thema der „Avengers“ die Frage nach dem Menschen diskutieren. Was ist der Mensch und was macht ihn aus? Die Avengers warten durchweg mit übermenschlichen Fähigkeiten auf. Diese haben sie in der Regel im Lauf ihres Lebens erworben. Oft geht es um militärische Versuche, mit denen Menschen optimiert werden sollen wie bei Captain America, oder um tragische Unfälle wie bei Spiderman oder bei Hulk. Im Hintergrund steht die sehr moderne Frage nach der Verbesserung des Menschen und danach, ob Krankheiten und sogar der Tod eines Tages ausgerottet werden können. Wir werden, auch und gerade als Christen, diesen Fragen nicht ausweichen können. Denn am Ende zählt nicht das optimierte und unendliche verlängerte Leben – wenn es das überhaupt je gibt –, sondern die Art, wie Menschen ihr Leben aus Gottes Hand annehmen können.
Kommt der christliche Glaube im Comic auch mal schlecht weg?
Bei den X-Men gibt es eine Figur, die „Nightcrawler“ heißt. Dieser sieht schon äußerlich so aus, wie man sich klassisch den Teufel vorstellt. Tatsächlich gilt er auch als Sohn eines Dämonen. Dementsprechend redet er oft von Hölle, Strafe und Gericht. Zugleich ist er aber eine ungeheuer sympathische und auch tragische Figur. Eine Figur, die von der eigenen Unerlöstheit ausgeht, und die sich entsprechend oft ziemlich traurig und depressiv äußert. Diese Vorstellung – dass es für manche Menschen unmöglich ist, erlöst zu werden – ist eine recht heftige Anfrage an christliche Verkündigung. Auch und gerade deshalb, weil der Nightcrawler oft und gerne in Kirchen geht – er steht der Kirche sicher nicht feindlich gegenüber.
Wie kann die Kirche das Thema Religion im Comic für sich nutzen?
Zum Beispiel, indem sie dahin geht, wo sich Fans versammeln. Etwa bei einer der vielen Conventions, die im Verlauf eines Jahres stattfinden. Dort einfach das Gespräch zu suchen klappt bestimmt! Auf einer anderen Ebene kann man Comics oder Filme – oder zumindest Teile derselben – in Jugendarbeit oder auch im Gottesdienst nutzen. Der Phantasie sind da so gut wie keine Grenzen gesetzt.
Herr Ehrhardt, vielen Dank für das Gespräch!
Kommt der christliche Glaube im Comic auch mal schlecht weg?
Bei den X-Men gibt es eine Figur, die „Nightcrawler“ heißt. Dieser sieht schon äußerlich so aus, wie man sich klassisch den Teufel vorstellt. Tatsächlich gilt er auch als Sohn eines Dämonen. Dementsprechend redet er oft von Hölle, Strafe und Gericht. Zugleich ist er aber eine ungeheuer sympathische und auch tragische Figur. Eine Figur, die von der eigenen Unerlöstheit ausgeht, und die sich entsprechend oft ziemlich traurig und depressiv äußert. Diese Vorstellung – dass es für manche Menschen unmöglich ist, erlöst zu werden – ist eine recht heftige Anfrage an christliche Verkündigung. Auch und gerade deshalb, weil der Nightcrawler oft und gerne in Kirchen geht – er steht der Kirche sicher nicht feindlich gegenüber.
Wie kann die Kirche das Thema Religion im Comic für sich nutzen?
Zum Beispiel, indem sie dahin geht, wo sich Fans versammeln. Etwa bei einer der vielen Conventions, die im Verlauf eines Jahres stattfinden. Dort einfach das Gespräch zu suchen klappt bestimmt! Auf einer anderen Ebene kann man Comics oder Filme – oder zumindest Teile derselben – in Jugendarbeit oder auch im Gottesdienst nutzen. Der Phantasie sind da so gut wie keine Grenzen gesetzt.
Herr Ehrhardt, vielen Dank für das Gespräch!
Heiko Ehrhardt, Jahrgang 1962, ist Pfarrer im Schuldienst an der Berufsbildenden Schule Wissen/Sieg. Er referiert nicht nur immer wieder über Comics, sondern veröffentlichte auch zahlreiche Texte zu den Themen Jugendkultur und Sekten im Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, zuletzt im Juni 2018: „Jung, Brutal, Gutaussehend – Antisemitisch! Anmerkungen zum Echo-Skandal“.
Die Fragen stellte Anna Lutz