Der Kurzfilm „Rehearsal“ (zu Deutsch: „Probe“) in der Sektion „Berlinale Shorts“ dauert nur acht Minuten. Der Zuschauer bekommt verschiedene Proben von Schauspielern zu sehen, durchgeführt in einer großen holzgetäfelten Halle, die sowohl ein Gottesdienstraum als auch ein Theater sein könnte. Alle Schauspieler haben dunkelblaue Hemden, dunkelgraue Hosen oder Röcke an, sie üben typische Szenen, wie man sie in freikirchlichen Gemeinden sehen könnte.
Ein kurzer Blick noch ins Skript, dann fragt ein Mann seine Gruppe vor sich: „Seid ihr so weit?“ Mit einer Bibel in der Hand ruft er laut: „Im Namen des Heiligen Geistes und unseres Herrn Jesus Christus befehle ich Euch Dämonen: Kommt heraus!“ Der vermeintliche Pastor streckt seine Hand aus, und die jeweilige Person, die ihm gegenübersteht, fällt sofort nach hinten und wird von einem Assistenten aufgefangen.
In einer anderen Szene stehen einige Personen um einen alten Mann herum, der in einem Rollstuhl sitzt. Sie beginnen für ihn zu beten und rufen immer wieder „Amen!“ Eine Frau streckt beide Hände in die Höhe. Ein vermeintlicher Pastor sagt: „Ich befehle dir im mächtigen Namen Jesu: Steh auf!“ In einer anderen Probe-Szene soll eine junge Schauspielerin einen Flyer an Passanten verteilen. Nachdem sie den Flyer ausgehändigt hat, sagt sie zur Passantin: „Das kostet 200 Naira“ (umgerechnet 40 Cent). Außerdem werden Assistenten gezeigt, die eine gelbliche Flüssigkeit (Apfelsaft?) in Plastikflaschen abfüllen. Auf die Flaschen kleben sie sowohl Zettel mit der Aufschrift „Heiliges Öl“ als auch Preisschilder: „1.000“, umgerechnet also rund 2 Euro. Auch eine Szene, in der sexueller Missbrauch stattfindet, wird geprobt.
Pfingstler, Charismatiker und TV-Evangelisten
Was auch immer diese Schauspieler hier proben, Regisseur Omonua verrät es uns nicht. Der 1985 in London geborene Filmemacher studierte an der University for the Creative Arts in Farnham und lebt heute in Nigeria. Bisher drehte er einige Kurzfilme und einen längeren Spielfilm, in denen es meistens um das Leben in Nigeria geht.
Sind wir Zeugen von Proben für ein Theaterstück oder von einem Spielfilm? Oder proben hier Betrüger ihren Auftritt als falsche Christen, die an das Geld leichtgläubiger Menschen in Not wollen? In einer Szene erzählt ein Mann die Geschichte von einer armen Familie, deren Sohn erkrankt. Ein „Wunderheiler“ nimmt in dieser Geschichte das „wenige Geld, das die Familie hatte“ und betet für diesen Sohn. Er scheint geheilt zu sein, doch nach zwei Tagen stirbt er.
In Nigeria ist das Christentum nach dem Islam die zahlenmäßig größte Religion. Dabei sind Pfingstkirchen und Charismatiker sehr weit verbreitet, es gibt viele Fernseh-Evangelisten, und Wunderheilungen gehören vielerorts selbstverständlich dazu. Will der Kurzfilm „Rehearsal“ diese Gemeinden als heuchlerisch kritisieren? Nur an einer Stelle gibt ein Schild einen Hinweis auf den Ort der Handlung: „Staatstheater“.
Am Ende lässt Omonua die Frage offen. Es scheint fast so, als seien hier Fiktion und Realität vermischt. Eine junge Schauspielerin möchte vor der eigentlichen Probe ein paar persönliche Worte loswerden. „Diese Rolle hat zu mir gesprochen“, bekennt sie, sie habe etwas gespürt, wenn sie ihre Rolle spielte. „Es ist schwer zu erklären“, sagt sie, greift dann zum Skript und spielt ihre Rolle. Zum Schluss tanzt eine Gruppe von Menschen im Kreis und singt Lobpreis-Lieder. Ist das noch Theaterprobe oder das wirkliche Anbeten Gottes in einer Pause? Vielleicht kann es ja niemand immer so genau sagen, was an den Wunderheilungen in Nigeria und anderswo „echt“ ist und was inszeniert, um an das Geld armer Familien zu kommen.
Die Berlinale findet in diesem Jahr vom 1. bis 5. März zunächst nur für ein Fachpublikum statt, die Filme werden statt in Kinos über das Internet gezeigt. Die Preisträger werden am 4. und 5. März bekanntgeben. Die Preisverleihung der 71. Berlinale findet in Anwesenheit des Publikums beim „Summer Special“ im Juni vom 9. bis zum 20. Juni statt.
Voin: Jörn Schumacher