Jesus starb mit 42

Eine der wohl bösesten und zugleich ekligsten Darstellungen einer freikirchlichen Gemeinschaft zeigt der Spielfilm „Jesus Egon Christus“, der auf der Berlinale in der Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ läuft. Ein geistig behinderter Mann namens Egon, der nicht duschen will, ist Teil einer Einrichtung für Menschen mit Suchtproblemen und geistigen Beeinträchtigungen. Man bekommt als Zuschauer eher das Gefühl, dass es sich bei der Gemeinde um ein Gefängnis oder um ein Irrenhaus handelt.
Von Jörn Schumacher
Egon im Berlinale-Beitrag „Jesus Egon Christ“ ist geistig behindert, hört aber Jesus sagen, dass Duschen doof ist

„Irgendwo in der Peripherie Berlins“ steht das heruntergekommene Haus, in dem eine Lebenshilfe für Menschen mit Suchtproblemen und geistigen Behinderungen untergebracht ist. So heißt es in der Ankündigung zum Film „Jesus Egon Christus“. Das in München geborene Brüderpaar David und Saša Vajda zeigt in seinem 50-minütigen Film eine Welt, die wie eine Horror-Version einer Freikirche aussieht.

Zu Beginn wird Neuankömmling Egon, ein junger Mann mit einer psychotischen Störung, geschoren wie ein Schaf oder so, als würde er in die Armee eintreten. In dem danach gezeigten „Gottesdienst“ wird schnell klar: Dies hier ist keine normale christliche Gemeinde, sondern eher die durchgedrehte, zwangsverordnete Version des Glaubens. Für die drogenabhängigen und psychisch Kranken hier ist das Befolgen der kirchlichen Regeln offenbar so etwas wie eine letzte Chance. Der christliche Glaube wird hier pervertiert zu einer Knast-Routine. Der strenge, stets miesgelaunte und leicht aggressive Pastor drückt ihnen den christlichen Glauben und die dazu gehörenden Rituale wie Beten, Singen und Taufe auf wie Rindern ein Brandmal.

In dem kleinen, weiß getünchten Raum mit Neonlicht, in dem der Film größtenteils spielt und so etwas wie den Kirchenraum darstellt, lässt der Glaube an Jesus keine Liebe zu, nur Kälte, Hohn und Gehorsam. So steht der Pastor vor dem großen Kreuz und hat die Hände erhoben, er sagt: „Ich spüre Kälte.“ Dann stammelt er ganz schnell „Kalt, kalt, kalt, kalt.“ Es folgt eine hasserfüllte Verurteilung seiner „Gemeindemitglieder“: „Ihr habt kalte, kranke Herzen. Ihr seid gottlose Würmer. Ihr seid so krank, dass es mich krank macht.“ Dabei hält er, wohlgemerkt, die Hände über die Anwesende, so wie andernorts der Segen ausgesprochen wird. Hier wird die Gemeinde verflucht. Nachdem dieser seltsame Pastor einige Anwesende – kahl geschoren die meisten, fast alle tätowiert und von Drogensucht gezeichnet – mit Fingerzeig dazu aufgefordert hat, zu sagen, wie lange sie schon süchtig sind, summiert er diese Zahlen schnell auf und kommt auf 42 Jahre. „Jesus ist mit 42 Jahren gestorben“, behauptet er, aber hier in dieser Gemeinde von „Jesus Egon Christus“ ist ohnehin egal, ob theologisch etwas stimmt oder nicht.

„Jesus F…ing Christ!“

„Jesus F…ing Christ!“ rufen manche im Amerikanischen aus, wenn sie völlig perplex oder entsetzt sind. Vielleicht soll der Titel des Films eine ähnliche Reaktion auslösen. „Jesus Egon Christus“ jedenfalls ist ein skurriles Schauspiel, in dem der christliche Glaube zum Zwang wird. Vielleicht ging es dem Bruderpaar David und Saša Vajda darum, die Einsamkeit eines psychisch Kranken zu zeigen, der nicht verstanden wird. Vielleicht waren sie aber auch einmal Gast in einer Freikirch, haben selbst nichts verstanden und konnten nur ausrufen: „Jesus F…ing Christ!

Das Erste, was Egon in seinem neuen Zuhause erzählt, ist übrigens ein Witz. Eigentlich ist alles, was in dieser Gemeinschaft gesagt wird, ein Witz, ob es nun das Alter Jesu ist oder die geheuchelten Taufen im Schwimmbecken. Egon, der sich weigert zu duschen, weiß dann auch zu berichten, dass Jesus ihn am Abend besucht habe. Er habe ihm gesagt, dass er gar keine Wunder vollbringen kann, sondern nur „Tricks wie David Copperfield“. Und: dass Duschen doof sei. Der Pastor lässt Egon heulen wie eine Eule. Ein Witz von einem, der mindestens genauso gestört ist wie seine geschorenen Schäfchen.

Die Berlinale findet in diesem Jahr vom 1. bis 5. März zunächst nur für ein Fachpublikum statt, die Filme werden statt in Kinos über das Internet gezeigt. Die Preisträger werden am 4. und 5. März bekanntgeben. Die Preisverleihung der 71. Berlinale findet in Anwesenheit des Publikums beim „Summer Special“ im Juni vom 9. bis zum 20. Juni statt.

Von: Jörn Schumacher

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